: Prozeßfarce gegen Mörder in Uniform
Die Polizisten, die wegen der Ermordung des linken türkischen Journalisten Metin Göktepe vor Gericht stehen, brauchen nicht einmal zu erscheinen. Selbstverständlich sind sie frei ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Gestern fand vor dem Strafgericht in der zentralanatolischen Stadt Afyon der Prozeß gegen Polizisten statt, die wegen der Ermordung des Journalisten Göktepe angeklagt sind. Hunderte Menschen, Familienangehörige des Ermordeten, Parlamentarier der Opposition, türkische und ausländische Journalisten und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen reisten zum Prozeßtag. Nur die wegen Mord angeklagten Polizisten fehlen. Sie sind auf freiem Fuß und nicht verpflichtet, zu den Prozeßterminen zu erscheinen.
Für die Reporter ohne Grenzen ist der Prozeß – eines der wenigen Strafverfahren in der Türkei, in dem Polizisten angeklagt sind – eine Farce. Tatsächlich geht es hier um einen Justizskandal, der offenbart, wie das Regime Folterer und Mörder in Schutz nimmt, wenn es sich um Beamte im Dienst handelt. Einige minderjährige Schüler der ägäischen Stadt Manisa hingegen, die jüngst gerichtlich freigesprochen wurden, wurden wochenlang in Polizeihaft gefoltert und verbrachten danach monatelang in Untersuchungshaft. Vorwurf: Sie hätten Flugblätter verteilt.
Über ein Jahr ist seit dem Mord an Göktepe vergangen. Göktepe, Korrespondent der linken Tageszeitung Evrensel, wurde am 8. Januar vergangenen Jahres von der Polizei festgenommen, als er an der Beerdigung zweier zu Tode geschlagener Gefängnisinsassen teilnahm. Über 1.000 Menschen wurden damals in ein Sportstadium im Istanbuler Stadtteil Eyüp eingepfercht. Wie die anderen Festgenommenen auch wurde Göktepe mit Knüppeln zusammengeschlagen. „Laß den Dreckskerl verrecken!“ riefen die Mörder – so die späteren Zeugenaussagen.
Der Umstand, daß Göktepe Journalist einer linken Zeitung ist, hatte zur Folge, daß die Mißhandlungen besonders schwer waren. Als er schon im Sterben lag, trugen Polizisten ihn schließlich auf eine Parkbank nahe des Sportstadions. Tagelang leugnete der Polizeipräsident von Istanbul, ebenso wie der Innenminister, daß Göktepe sich in Polzeihaft befunden habe. Göktepe sei nie festgenommen worden. Er sei von einer Mauer gefallen und eines natürlichen Todes gestorben. Erst nach öffentlichem Protest in den Medien und nachdem Dutzende Augenzeugen aussagten, die Mißhandlung Göktepes im Sportstadion mit eigenen Augen gesehen zu haben, gab das Innenministerium zu, daß Göktepe sich in Polizeihaft im Stadion befand.
Die Autopsie der Gerichtsmedizin stellte fest, daß der Tod infolge der Knüppelschläge eintrat. Eine eingesetzte Untersuchungskommission des Innenministeriums befand 48 Polizisten für schuldig – doch eine Anklage durfte nicht erhoben werden, denn Anklagen gegen gegen Beamte im Dienst sind nach türkischem Recht genehmigungspflichtig. Die Staatsanwaltschaft bedarf einer Genehmigung durch eine staatliche Kommission. Angesichts des öffentlichen Protestes erteilte die Kommission schließlich die Genehmigung, die Beamten wurden vom Dienst suspendiert.
Als der Prozeß sechs Monate nach der Ermordung vor einer Strafkammer in Istanbul begann, lehnte das Gericht einen Haftbefehl gegen die Angeklagten ab. Sie seien Beamte mit festem Wohnsitz. Auf Intervention des Justizministeriums wird der Prozeß „aus Sicherheitsgründen“ in die Stadt Aydin verlegt. Vergangenen November änderte sich wieder das Gericht. Jetzt soll die Strafkammer der Stadt Afyon zuständig sein. Bis heute haben die des Mordes angeklagten Polizisten nicht vor Gericht ausgesagt. Sie können klammheimlich vor einem Richter nahe ihres Wohnortes ihre Aussagen machen. Vor zwei Wochen wurde die Suspendierung der wegen Mordes angeklagten elf Polizisten aufgehoben. Sie konnten ihren Dienst antreten. Wieder war öffentlicher Protest vonnöten, damit Innenminister Meral Aksener die Beamten erneut vom Dienst suspendierte. „Sie wollen, daß der Mord vergessen wird“, sagt Rechtsanwalt Semih Mutlu.
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