■ Normalzeit: Berlin-Zoologischer Garten
Bernd Wilhelm lebt in einem Schrebergarten-Kleingewerbegebiet in Haselhorst, unweit des Kraftwerks „Ernst-Reuter“. Der gelernte Tierpfleger arbeitete in den Tierversuchslabors der FU. Nach einer Infektion wurde er Frührentner.
„Schon immer“ hatte er sich privat Tiere gehalten – die überdies gerne irgendwelche „Dummheiten“ machten. Mit den Jahren entstand daraus eine ebenso eigenwillige wie freundliche Dressurmethode, die sich heute auszahlt, insofern Herr Wilhelm mit seinen Tieren von Film- und Fernsehproduktionen „gebucht“ wird: „Die Tiere arbeiten für ihren Lebensunterhalt.“
Daneben tritt er – mit seinen Eseln, Ponys und Ziegen etwa – auch bei Laubenpieperfesten auf und unternimmt Kutscherfahrten mit spastischen Kindern. Außerdem hält er für Problempferde eine „orthopädische Hufbehandlung“ parat, verbunden mit einer „speziellen Methode“: Klebeschuhe aus Plastik. Alles im erlaubten „Rahmen des 580-Mark- Zugewinns“.
Die meisten seiner Tiere landeten nach einer „Leidensgeschichte“ bei ihm, und sie müssen nicht auftreten, wenn sie nicht wollen. Die Perserkatze „Missy“ zum Beispiel „wurde schlecht behandelt“: Jetzt liegt sie die meiste Zeit hinterm Ofen in einem Pappkarton.
Benno, der kurzbeinige schwarze Hund, gehörte einer Punkerin, die jetzt in einem Haus der Treberhilfe wohnt: „Aus ihm könnte noch mal was werden.“ „Fuchsy“ wurde angefahren am Straßenrand gefunden. Der Kapuzineraffe „Kingkong“ „arbeitet zwar nicht gerne, ist aber dafür nie böse“. Er mag am liebsten Limonade und Gummibärchen und liegt abends neben der für Kunststücke zu alt gewordenen Schäferhündin Sandra.
Alle Tiere, auch die Waschbären, der Nasenbär, die Zwergschweine und die Hühner verstehen sich untereinander: „Das müssen sie auch, sonst geht das gar nicht.“ Herr Wilhelm lehnt Aufträge, bei denen sie „schwierige Sachen“ machen sollen, ab. Neulich buchte die Volksbühne seinen Hengst, damit der auf der Bühne mit herabhängendem Gemächt und von den Schauspielerinnen bewundert, auf und ab gehe. Als das nicht klappte, schlug Wilhelm vor, ihm einen Plastikpenis umzubinden. Das fand Chefdramaturg Lilienthal jedoch allzu unrealistisch, statt dessen schlug er eine „leichte Narkose“ für das Tier vor (dabei hängt das Gemächt unwillkürlich herunter). Wilhelm fand diese Forderung unannehmbar. Auch der Tierschutzverein intervenierte laut B.Z. bei der Volksbühne.
Ein anderes Tier von Wilhelm kam dagegen ganz gut bei den Mimen im Osten klar: Der Esel Max spielte wochenlang am Gorki- Theater. Wilhelms Ziege tritt regelmäßig bei „Porgy und Bess“ auf, wenn das US-Musical in Berlin gastiert.
Bei den schwarzen Schauspielern machte Wilhelm die Erfahrung, daß die Stars ihn genauso respektvoll behandeln wie die Statisten: Das ist sonst meist nicht so – Dieter Hallervorden und Hape Kerkeling hält er z.B. für „fürchterliche Menschen“. Die größte Schwierigkeit sind sowieso die Schauspieler, „die sich erst an die Tiere gewöhnen müssen“. Insbesondere galt das neulich – für einen ORB-Moderator – bei Wilhelms zwei Riesenschlangen.
Sein Hahn spielte jüngst im Videoclip der Lassie Singers mit: Er mußte auf einer Haltestange in der U-Bahn sitzen. Dabei schiß er der Sängerin auf den Kopf.
Einige Kinder, die in der Schrebergartensiedlung wohnen, helfen Bernd Wilhelm gelegentlich beim Füttern und Ausmisten – die Friseuse Manuela schon seit 12 Jahren. Zu Hause hat sie jetzt selbst drei Hunde, Katzen und Fische. Während ich Bernd interviewte, erlaubte „Kingkong“ mir, auf der Couch Platz zu nehmen. Als Manuela kam, bestand er jedoch darauf, daß ich ihren Stammplatz räumte. Zur Zeit sucht der wenig begüterte Herr Wilhelm einen leerstehenden Resthof im Umland: Haselhorst ist zu eng geworden. (Angebote bitte unter: 030/334 17 35). Helmut Höge
wird fortgesetzt
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen