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Jung und unbeugsam gegen den Castor

Seit Montag halten Schüler ihre Turnhalle besetzt, damit BGS und Polizei draußen bleiben  ■ Aus Dannenberg Claudia Thomsen

Neben Kisten mit Jonagold-Äpfeln und Obstsäften lagern Weißkohl- und Kartoffelsäcke, Brot, Margarine, Marmelade und Erdnüsse. Die provisorische Küche in der von SchülerInnen besetzten Sporthalle des Dannenberger Schulzentrums ist üppig bestückt mit Zeugnissen der Solidarität. „Eltern, Anwohner und der bäuerliche Notverband stehen voll hinter unserer Aktion“, berichten erfreute GymnasiastInnen im Glaskasten des Hallenwarts. Darin ist jetzt das Info-Büro, aus dem die Halle per Lautsprecher gemäßigt beschallt wird. Nach langen Diskussionen haben sich die Haupt- und Realschüler mit den Gymnasiasten auf Cranberrries und Bob Marley geeinigt. Draußen vor der Tür hat die bäuerliche Notgemeinschaft sechs Traktoren geparkt. Zwischen zwei Lenkrädern baumelt wie eine Sprechblase ein Laken, das Sinn und Zweck der Übung verrät: „Wir stehen hier für den Erhalt der kommunalen Selbstbestimmung.“

Die Wendländer Bauern empört besonders, daß die Bezirksregierung fünf regionale Sporthallen für ihre den Castor-Transport begleitenden BGS-Tausendschaften beschlagnahmt hat. Und daß dies gegen die Beschlüsse der Gemeinderäte durchgeboxt wurde. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat gestern in zweiter Instanz bestätigt, daß dies rechtsmäßig ist.

In Parka und Gummistiefeln sitzen einige Landwirte auf den schmalen Turnbänken in der Halle und streuen ihre reichen Erfahrungen unter die jugendliche Gemeinde. „Ich bin der, den sie letztes Jahr vom Traktor geprügelt haben“, sagt Adi Lambke und zupft seinen Backenbart.

Am Mittwoch nachmittag sind 150 Jugendliche in der Halle. Etliche rekeln sich auf dicken, blauen Matten, viele spielen Basketball. Gregor Hackmack vom siebenköpfigen Team, das die Besetzung koordiniert, bittet mit dem Mikro in der Hand um Ruhe. Der 19jährige Abiturient mit Nickelbrille und Lennon-Frisur wird von vielen Schülern als leader of the pack gehandelt. Schließlich war er es, der am frühen Dienstag morgen die Matritze mit dem Aufruf zur friedlichen Besetzung der Sporthalle durch den Vervielfältiger des Fritz Reuter-Gymnasiums in Dannenberg nudelte und in Umlauf brachte.

Gregor Hackmack erinnert neben den mit Transparenten geschmückten Sprossenwänden daran, wie wichtig es sei, sich auch in der Ausnahmesituation diszipliniert zu verhalten. Chaotische Verhältnisse in der Halle könnten schließlich Argumente für eine polizeiliche Räumung liefern. Benimmprobleme scheinen aber auch 35 Stunden nach Beginn der Besetzung kein Problem zu sein. Der empfindliche Boden sieht aus, als würden sich die meisten das mahnende „Füße abtreten!“ auf einem Plakat über dem Hintereingang zu Herzen nehmen. Die diversen Raucherecken des Schulzentrums haben sich ausschließlich vor der Halle zusammengefunden, und alkoholisiert wurde ebenfalls kaum ein Schüler gesehen.

„Letzte Nacht hat sich nur einer übergeben müssen“, bilanziert Hallenwart Werner Theile-Schlesier ganz zufrieden. Schwieriger als die Ordnung in der Halle fällt es vielen, die Balance zwischen politischem Engagement und schulischer Pflicht aufrechtzuerhalten. Denn nicht alle Lehrer haben Verständnis für das Wegbleiben der Schüler. „Heute in der dritten und vierten Stunde sind wir in den Unterricht gegangen und haben eine Klassenarbeit geschrieben“, erzählen Inga Erler und Meike Koogmann. Die Neuntklässlerinnen wissen auch von anderen Fällen, in denen Lehrer drohen, das Schwänzen von Klausuren mit Sechsen zu ahnden. Für einen derart rigiden Kurs einiger Kollegen hat Eberhard Malitius wenig übrig. Nach der Probe seines Mandolinenorchesters gesellt sich der Religionslehrer wie am Vorabend auch zu den BesetzerInnen. „Es ist schon komisch, daß die Aktion nur von den Lehrern der Randfächer unterstützt wird. Obwohl das Ganze so gut organisiert wird, habe ich hier nur noch einen Sport- und einen Musiklehrer gesehen“, sagt der Pastor, den die Unterstützung der Eltern dafür um so mehr freut. Wie die meisten Schüler, denen die zweite Übernachtung in der Dreifeldhalle bevorsteht, ist auch der Mittvierziger müde. Den Schlaf sichern sollen eine Packung Ohropax und ein Trainingsanzug, beides habe sich schließlich auf den ebenfalls nicht weniger strapaziösen Kirchentagstouren bewährt.

Vor der Nachtruhe um 24 Uhr fordert das Koordinationsteam die Anwesenden noch einmal auf, sich in den jeweiligen Bezugsgruppen zu sammeln. In diesen Gruppen sollen zu diskutierende Strategien für den Ernstfall entwickelt und Delegierte bestimmt werden, die Kontakt zu den Organisatoren haben. „Damit im Falle einer Räumung kein Chaos ausbricht und alle, die freiwillig rauswollen, das auch können“, betont der unermüdliche Gregor Hackmack. Für den nächsten Morgen sind Informationszüge zum Busbahnhof geplant, hier sollen alle bisher noch unwissenden Schüler abgefangen werden. Einige der BesetzerInnen wollen zu diesem Zeitpunkt von Aktionismus jedoch nicht mehr viel wissen.

Vermehrt landet auf Matten und Schlafsäcken alles, was besonders die Jüngeren nicht mehr unbedingt mit herumschleppen wollen: Chipstüten, hölzerne Janosch- Enten und orangefarbene Zahnklammerdosen. Trotz aller Wachsamkeit der Nachtschichtler haben viele nicht mehr die Energie, den Walkman abzustellen oder gar die Saftbecher in der Küche abzuspülen. Um sieben Uhr, beim offiziellen Wecken, schläft kaum noch ein Schüler. Einige Mütter laden Thermoskannen mit heißem Tee oder Kaffee in der Küche ab. Einige blicken in die milchigen Gesichter ihrer Jüngsten und können nicht verstehen, daß Lehrer und Nachbarn deren Engagement als Weg zum erholenden Schuleschwänzen bezeichnen.

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