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Ein Staatszirkus namens Bürokratie

Deutsche Behörden können gnadenlos sein. Seit Monaten versucht der Zirkus Charivari, polnische Akrobaten und russische Clowns einzustellen. Ein Affentheater und sein Verlauf  ■ Von Ulrike Winkelmann

Berlin (taz) – Bei derzeit 4,7 Millionen Arbeitslosen könnte man annehmen, daß die Arbeitsämter ausgelastet sind. Aber nein, nicht doch: Sie kümmern sich rührend um die Probleme eines kleinen Zirkus. Sie tun alles dafür, daß dort einer den allergrößten Auftritt hat: ein wiehernder Amtsschimmel. Weil der Zirkus Charivari ein paar polnische Akrobaten und drei russische Clowns mit einem eierlegenden Hahn auftreten lassen wollte, wurden bundesweit Dutzende von Behördenmitarbeiter eingeschaltet.

Zirkusdirektor Jochen Fleischmann rauft sich nur noch die Haare. Derzeit weilt sein Zirkus noch im Winterquartier in einer alten Sowjet-Kaserne nördlich von Berlin, aber wenn er am 1.März seine Tournee entlang der alten deutsch-deutschen Grenze nicht starten kann, ist er bald pleite. Und seine russischen Clowns sind wegen des Affentheaters in den Behörden immer noch nicht da.

Charivari ist aus dem alten DDR-Staatszirkus Busch hervorgegangen, und Fleischmann war bis zu seiner Abwicklung 1992 dort Direktor. Nun erlebt Jochen Fleischmann eine ganz andere Form von Staatszirkus. Für seine auserwählten Clowns muß der Direktor bei der Deutschen Botschaft in Moskau als erstes ein Einreisevisum beantragen. Die Botschaft schaltet das Auswärtige Amt in Gestalt des Bundesverwaltungsamtes Köln ein. Das Kölner Amt schickt die Sache weiter zur Ausländerbehörde in Güstrow, denn im Gebiet Güstrow befindet sich das Winterquartier des Zirkus. Güstrow schickt die Akte weiter ans Landesarbeitsamt Nord in Kiel, zwecks Erteilung einer Arbeitserlaubnis für die drei Clowns. Das Landesarbeitsamt beauftragt den Künstlerdienst des Arbeitsamtes Rostock mit der Recherche, ob sich drei arbeitslose russische Clowns in seiner Kartei befinden. Die Rostocker sagen nein, beauftragen aber ihrerseits sämtliche Künstlerdienste Deutschlands bis hinunter zum bayrischen Wald. Vier Wochen lang fahnden ihre Mitarbeiter, ob sich irgendwo im Bundesgebiet arbeitslose russische Clowns befinden. Ergebnis: nein.

Also zurück das Ganze: Die Künstlerdienste melden es Rostock, Rostock meldet es Kiel, Kiel meldet es Güstrow, Güstrow Köln. Köln teilt der Deutschen Botschaft in Moskau mit: Ein Einreisevisum zu Arbeitszwecken darf erteilt werden. „Juhuu!“ schreit der Zirkusdirektor und informiert seine Clowns: Ihr könnt die Koffer packen. Doch was ist mit der polnischen Luft- und Bodentruppe, die er ebenfalls bestellt hat? Die sollen überhaupt nicht ins Land. Begründung des Landesarbeitsamts: Er habe bei ihrer Anwerbung angeblich die Warschauer Künstleragentur eingeschaltet. Und das geht nicht, verweist die Pressesprecherin des Arbeitsamtes den Zirkusdirektor in die bürokratischen Schranken, denn „für die Vermittlung von Artisten sind die Künstlerdienste der deutschen Arbeitsämter zuständig“. „Das sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für das Arbeitsamt, sonst gar nichts“, kommentiert Fleischmanns Anwalt Peter Meyer sarkastisch. „Clowns und Akrobaten brauchen überhaupt keine Arbeitserlaubnis, sie sind freischaffende Künstler. Denn zu einem Arbeitsvertrag gehört das Weisungsrecht. Man kann aber einen Clown nicht anweisen, morgen vom Trapez zu springen.“

Doch im Bundesarbeitsministerium will man den entsprechenden Erlaß nicht ändern. Deshalb müssen sämtliche Zirkusse, Theater, Opern oder Fußballklubs Deutschlands diese unsinnige Prozedur mitmachen, bevor sie einen – wohlbemerkt selbständigen! – ausländischen Künstler, Sänger oder Spieler engagieren dürfen. „So ein Zirkus“, schimpft Anwalt Meyer.

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