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Fernsehen ist kein globales Kaffeehaus

Kanäle der Macht und des Marktes: Am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen diskutierten zwei Dutzend Forscher von der Nordhalbkugel über „Globalization of the Mass Media and the Transformation of Democracy“  ■ Von Niels Werber

Zum drittenmal wurden am Wochenende zwei Dutzend handverlesene Referenten und Rezipienten zu einer Arbeitstagung über Globalisierung in die Hallen des KWI gebeten. Nachdem schon ökonomische und juristische Aspekte Thema waren, ging es diesmal um den Einfluß der Massenmedien auf die Demokratie, wie wir sie kennen, nämlich in repräsentativer Verfassung und in den Grenzen von Nationalstaaten.

Michael Tracey (Boulder, Co) widmete sich der ehrwürdigen Einrichtung des National Public Service Broadcasting (zum Beispiel BBC), deren Zukunft düster sei, da die Globalisierung die Bedingungen der Nation und des Öffentlichen zur Disposition gestellt habe, während zugleich die neuen interaktiven Medien das Prinzip des Broadcasting destruierten. Angesichts der Kommerzialisierung der Medien könne der öffentliche Rundfunk seine Existenz allenfalls noch in staatlich garantierten Schutzzonen fristen. Deren Subventionen werden aber allenfalls garantieren, daß gesendet werde, nicht aber, daß auch jemand zuschaut. Daß die Globalisierung der Massenmedien zu einer breiten Öffentlichkeit führen könnte wie einst Kaffeehäuser und Zeitungen, wurde allgemein bezweifelt. D. C. Hallin (La Jolla, Ca) zeigte sich überzeugt, daß es einen globalen Markt und weltweit agierende Produzenten und Konsumenten gebe, nicht aber Weltbürger einer Weltöffentlichkeit. Die einzigen wirklich internationalen Medien seien daher Wirtschaftsmedien, etwa die Financial Times.

Da keine Öffentlichkeit ohne unterstützende Institutionen auskomme (ob Verlagshaus oder Kaffeehaus), aber auf globaler Ebene nichts Äquivalentes in Sicht sei, führe die Globalisierung der Massenmedien zu einer Art von öffentlichem Raum, der aber keine reflexive und kritische Willensbildung mehr ermögliche. Dieser Raum zeichne sich durch bloße Akkumulation von Zuschauern aus, die nichts verbindet, außer dem zufälligen gemeinsamen Konsumieren von Sendungen (J. Bohman, St. Louis, MO). Luhmanns Vorschlag, auf den Habermasschen Begriff der Öffentlichkeit zu verzichten, um nach der Wirklichkeitskonstruktion der Massenmedien zu fragen, ist global vermutlich noch nicht bekannt geworden.

Eine überraschende Deutung von CNN, des Parademediums der Globalisierung, lieferte Sheila Mac Vicar (ABC News London). Die TV-Journalistin hat Erfahrungen mit dem Sender in Bagdad, an der kurdischen Grenze, im Nahen Osten gesammelt und diese mit der statistischen Tatsache konfrontiert, daß CNN-International zu Spitzenzeiten nur ein Publikum von 500.000 Zuschauern erreicht, zwei Drittel davon in Hotels. CNN ist zwar weltweit zu empfangen, doch erst die Frage nach dem Publikum, das nicht manchmal, sondern erwartungsgemäß zuschaut und auf die Sendungen reagiert, offenbart seine Funktion.

Mac Vicars These ist, daß dieser entscheidende Teil des Publikums von Staatsmännern gestellt wird, die CNN als eine Form öffentlicher Diplomatie nutzen. Präsident X gibt ein Interview, Oberst Y schaut zu und gibt seinereits eins; X kann darauf wieder öffentlich reagieren oder, wenn er weiß, was Y von ihm erwartet, auf diskretere Kanäle umschalten. Da TV-Interviews völkerrechtlich nicht bindend sind, lassen sich so ohne allzu großes Risiko Spielräume ausloten. Die Politik brauche ihren Kanal, und deshalb sei CNN in jeder Hauptstadt der Welt vertreten, selbst – mit Sondergenehmigung des Weißen Hauses – auf Kuba. CNN sei also funktional ein Medium der internationalen Diplomatie und nur dem Anschein nach ein Massenmedium. Zwar können viele zuschauen, aber für nur wenige Empfänger ist die Botschaft bestimmt.

Die Massenmedien verschmelzen die Welt zum globalen Dorf, meinte einst Marshall McLuhan. Chr. German (Jena) setzt dagegen, die globalisierte Welt würde zu einer Ansammlung von Dörfern werden, die zwar untereinander lichtschnell kommunizieren, aber von ihrer unterentwickelten Low- Tech-Umwelt abgeschirmt sind.

In Indien oder Brasilien entwickeln gut ausgebildete Software-Ingenieure – oft im Dienste westlicher Unternehmen – konkurrenzfähige Produkte, die beinahe zu Weltmarktpreisen verkauft werden. Bei digitalisierbaren Waren sind die Transportkosten gering – das Internet ersetzt die Containerschiffe. Und da die einheimischen Arbeitskräfte mit einem Jahresgehalt von 3.000 Dollar schon zu den reichen fünf Prozent der Bevölkerung zählen und bereits ihre Wohngegenden nach Westvorbild mit Sicherheitszäunen umgeben, zählen die Investoren dieser High- Tech-Parks zu den Gewinnern, da sie zirka 90 Prozent der westlichen Lohnkosten sparen. Verlierer sind all jene, die nicht durch Ausbildung und Geld über den Zugang zum Internet verfügen, also die Mehrheit der Weltbevölkerung. Je erfolgreicher das WorldWideWeb sich ausbreitet, desto größer wird die neue Klasse des Off-line-Proletariats, und desto höher müssen die Mauern sein, mit denen die neue virtuelle Klasse ihr im Cyberspace verdientes Geld beschützt.

Diesen rabenschwarzen Pessimismus werde ich dann teilen, wenn UPS gepanzerte Fahrzeuge einsetzt, um die Sicherheitszonen Besserverdienender mit Konsumgütern aus aller Welt zu versorgen.

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