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Grüne Wirtschaftswunderinsel

Vom EU-Schlußlicht zum Primus: Irland prunkt mit niedriger Inflations- und hoher Wachstumsrate. Arbeitslosigkeit bleibt jedoch hoch  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Im Norwesten Europas sei ein smaragdgrüner Tiger herangewachsen. So umschrieb die US- Zeitschrift Newsweek vor kurzem das irische Wirtschaftswunder. Wachstum von deutlich über fünf Prozent im Durchschnitt der letzten fünf Jahre, Inflationsrate unter zwei Prozent, niedrige Zinsen und ein Haushaltsüberschuß, von dem man vor zehn Jahren nur träumen konnte.

Die Gründe sind vielfältig. Irland hat seit Ende der achtziger Jahre durch einen rigorosen Sparkurs die Staatsschulden von über 100 Prozent auf 69 Prozent in diesem Jahr abgebaut. Die Inflationsrate liegt bei 2,2 Prozent, das Haushaltsdefizit beträgt vergleichsweise läppische 1,5 Prozent. Die Auswanderung ist seit ein paar Jahren stark zurückgegangen, Dublin hat sich zu einer der lebendigsten Großstädte Europas entwickelt, und das nicht zuletzt wegen der EU-Gelder. Man hat die zwei Milliarden Pfund, die jedes Jahr aus dem EU-Topf überwiesen werden, vor allem in die Verbesserung der Infrastruktur und in den Bildungsbereich investiert.

Das alles – sowie die niedrige Körperschaftssteuer von zehn Prozent – hat eine ganze Reihe ausländischer Firmen nach Irland gelockt. Besonders der Computersoftware-Sektor boomt: 1991 gab es hier 365 Unternehmen, die insgesamt knapp 8.000 Menschen beschäftigten und Waren im Wert von 1,7 Milliarden Pfund exportierten. Heute liegen all diese Zahlen um rund die Hälfte höher.

Die Exporterfolge und das stabile Wachstum haben dafür gesorgt, daß die Grüne Insel auf Kurs in Richtung Einheitswährung liegt. Deshalb fühlen sich die Iren brüskiert, wenn deutsche Politiker ziemlich unverblümt erklären, daß sie Irland am Anfang lieber nicht im Euro-Club dabei hätten. Vor kurzem meinte der Bonner Staatssekretär Jürgen Stark, daß neben den Mittelmeerländern „auch andere periphere Länder ihre Position“ in Bezug auf 1999 überdenken sollten. Offenbar befürchtet man, daß das irische Pfund aufgrund der engen Anbindung an das britische Pfund Sterling auf wackligen Füßen stehe.

Man sieht die irische Wirtschaft nach wie vor als Wurmfortsatz der britischen Ökonomie, was zum Teil stimmt, ist die Nachbarinsel doch nach wie vor der wichtigste Handelspartner. Während die anderen EU-Währungen eng an die D-Mark gebunden sind, steigt das irische Pfund im Sog von Sterling, das nicht im EWS ist. Das birgt Gefahren in sich: Um das Wachstum zugunsten einer niedrigen Inflationsrate zu bremsen, kann die irische Zentralbank kaum die Zinsen erhöhen, weil das Pfund dann noch weiter steigen würde.

1996 war auch ein Rekordjahr, was die Schaffung neuer Arbeitsplätze angeht. 45.000 neue Jobs entstanden. Doch die beeindruckenden Zahlen täuschen: Es sind vor allem Teilzeitjobs und Stellen im elektronischen Sektor, die hinzugekommen sind. Trotz kontinuierlichen Wachstums seit 1987 sind kaum Fabrikjobs entstanden – im Gegenteil: Allein im vergangenen halben Jahr schloß Continental seine Dubliner Semperit-Niederlassung, wo 900 Menschen arbeiteten, und die Tamponfabrik Tambrand machte in Tipperary dicht und setzte 220 Leute vor die Tür. So hält sich die Arbeitslosigkeit hartnäckig bei 11,5 Prozent.

Nirgendwo wird die irische Wirtschaftsentwicklung so deutlich wie auf der Nordseite des Dubliner Hafens. Dort steht das neue gläserne Finanzzentrum, wo 250 leitende Angestellte umgerechnet mehr als 600.000 Mark pro Kopf und Jahr verdienen. Direkt dahinter, in der Sherriff Street, beginnt ein heruntergekommenes Viertel mit immensen Drogenproblemen und hoher Kriminalität. Wer hier wohnt, hat keine Aussichten auf einen Job.

Die Politiker tun nichts für die Menschen in der Sherriff Street, denn die gehen nicht zu den Wahlen. Die Regierung hat andere Sorgen. 1999, wenn der EU-Topf neu verteilt wird, muß Irland wohl den Gürtel enger schnallen, weil man dann nicht mehr zu den Bedürftigsten in der EU zählt. Bis dahin, so hofft die Regierung, habe das Wirtschaftswachstum eine Eigendynamik entwickelt. Doch die Sondergenehmigung für den Köder von zehn Prozent Körperschaftssteuer läuft im Jahr 2005 aus, und die Bonner Regierung hat bereits angedeutet, daß man gegen eine Verlängerung stimmen werde.

Irlands Wirtschafts- und Finanzpolitik wird von den Maastrichter Kriterien für die Teilnahme an der Einheitswährung bestimmt. Aber vielleicht ist das nur ein kluger Schachzug: In Finanzkreisen wird gemunkelt, daß die Regierung nur deshalb alles daransetzt, die Maastrichter Kriterien zu erfüllen, um ein Faustpfand in der Hand zu haben: Falls Großbritannien dem Euro eine Absage erteilt, werden auch die Iren vorerst darauf verzichten – gegen Fortzahlung der vollen Subventionen aus Brüssel, versteht sich.

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