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Kaum Therapieangebot

■ Deutsche Suchttherapien sind meist auf ein deutsches Klientel zugeschnitten. Infotexte sind nicht übersetzt, Basiswissen über Suchtursachen fehlt bei Eltern von ImmigrantInnen

Vor zwei Wochen fand in Stuttgart eine überregionale Suchtkonferenz statt. Zwei von über 50 Arbeitsgruppen befaßten sich fünf Tage lang mit „Immigranten als Herausforderung in der Suchtvorbeugung“.

Worin liegt die Herausforderung? Susanne Keefer, Stuttgarter Beauftragte für Suchtprophylaxe und Mitorganisatorin der Konferenz, ist die Frage wichtig, warum präventive Konzepte und ambulante Angebote Ahmet, Pasquale und Niko nicht ausreichend erreichen. Das relativ gut ausgebaute System der Suchtbetreuung versagt offenbar bei Zuwanderern völlig. Weder die Vorsorge noch die Betreuung und Nachsorge werden bewältigt.

Das hat Gründe: Es gibt zum Beispiel kaum Suchtexperten, die sich in Migrationsfragen auskennen. Migrantenspezifische Projekte gibt es bundesweit vielleicht ein Dutzend. Daher sehen sich Moscheebedienstete, ausländische Fachkräfte in der Sozialberatung und in der Jugendhilfe – die sich zwar in Migrationsfragen auskennen, aber keine Suchtexperten sind – verstärkt mit Hilfesuchenden konfrontiert. Meist sind die Abhängigkeiten und Folgeprobleme bereits weit entwickelt. Die betroffenen Eltern und Berater sind völlig überfordert, stehen den Problemen ohnmächtig gegenüber, zumal zwischen Migrationsfachdiensten und der Suchtkrankenhilfe oft kaum Kooperationen bestehen.

Die Linie der offiziellen Drogenpolitik ist nach wie vor, daß eine Sonderbetreuung nicht erforderlich sei. Die Realität sieht anders aus. Selbst wenn Aufklärungsbroschüren für Deutsche schon ein alter Hut sind – für Migranten erfüllen sie noch die wichtige vorbeugende Funktion des Informierens und Enttabuisierens.

Immerhin ist vereinzelt begonnen worden, deutsche Ratgeber ins Türkische zu übersetzen. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium begann damit Anfang der 90er Jahre. Die Übersetzung wurde auch vom Drogenreferat Frankfurt/Main nachgedruckt. Eine andere erstellte die Hamburger Landesstelle gegen die Suchtgefahren, in Rheinland-pfalz wurde sie nachgedruckt. Alle vier sind reine Übersetzungen deutscher Titel, obwohl die Notwendigkeit einer migrantenspezifischen Suchtvorbeugung eigentlich auf der Hand liegen sollte.

Aktuell gibt es bundesweit offenbar nur die im Mai 1996 von Susanne Keefer herausgegebene türkischsprachige Broschüre „Uyusturucular Uyusturucu Bagimliligi“. Keefer zufolge nimmt das Thema in den türkischsprachigen Zeitungen und im Kabelfernsehen zwar einen breiten Raum ein, „Drogen werden aber als Teufelszeug dargestellt, das wie ein unvermittelt aus heiterem Himmel hereinbrechender Schicksalsschlag wirkt und man dem nur durch äußerste Vorsicht und Kontrolle begegnen könne“.

Die Eltern denken oft, daß der entscheidende Auslöser einer Drogenkarriere die verführerische Potenz eines Rauschmittels ist und nicht persönliche Probleme. Dem wirkt die von Bezirkssozialarbeiter Nimettin Aksoy speziell für türkische Eltern verfaßte Broschüre entgegen und füllt damit eine große Informationslücke. Enthalten sind Erkenntnisse eines Info- und Gesprächskreises, der für türkische Mütter durchgeführt wurde. Etwas ähnliches gibt es im Mainzer „Halkevi“. „Es zeigt sich, wie wichtig solche niedrigschwelligen Hilfsangebote sind, wie groß der Leidensdruck, aber auch das Engagement der Mütter sein kann“, erzählt Aksoy. Ihm geht es darum, die in den Familien vorhandenen „beschützenden Ressorcen“ zu stärken und Lebensziele zu konkretisieren.

Auch an Betreuungs- und Rehabilitationsmaßnahmen fehlt es. Nicht nur, weil ausländische User sich aus Angst vor Ausweisung nicht in bestehende Maßnahmen trauen, die fast ausschließlich von Deutschen für Deutsche eingerichtet wurden. Migranten brauchen auch eine spezifische Betreuung. In Berlin immerhin gibt es unter anderem ein Ex-User-Cafe sowie die Drogenberatung „Durak“ (Haltestelle), beide für Türken.

Außerhalb von Berlin oder Frankfurt („drop in“) entwickelt sich eine solche Infrastruktur nur langsam. In Mannheim wird mit dem seit 1994 laufenden Modellprojekt „Just“ versucht, „den ethnospezifischen Hintergrund nichtdeutscher Kinder und Jugendlicher zu berücksichtigen und adäquate vorbeugende beziehungsweise reparierende Maßnahmen zu entwickeln“.

In der Suchtklinik Hohenrodt im Schwarzwald gibt es seit 1984 eine für männliche Alkohol- und Medikamentenabhängige aus dem ehemaligen Jugoslawien konzipierte therapeutische Behandlung mit heimatsprachlicher Betreuung. Kürzlich wurde sie ergänzt durch Therapien in polnischer und russischer Sprache. Dahinter verbirgt sich ein wachsender Anteil von abhängigen Aus- und Übersiedlern aus Osteuropa. Ekkehard Schmidt

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