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Die Bundesrepublik sitzt auf der Anklagebank

■ Laut Gerichtsentscheid dürfen Haschischdelikte nicht gespeichert werden

Im vergangenen Jahr ging ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts durch die Presse, das dem bayerischen Sänger Hans Söllner verbot, für den Eigenbedarf Marihuana anzubauen. Mit ihm klagte der weniger bekannte Manfred Watzl und wurde ebenfalls abgewiesen. Das war eines unter vielen Verfahren, die Watzl im Laufe seiner „Gerichtskarriere“ ausgefochten hat. Dabei hat er nicht nur die Seite des Klägers eingenommen, sondern auch die Anklagebank gedrückt. Watzl und vor allem die bayerische Justiz sind mittlerweile alte Bekannte.

Die Geschichte ihrer langen Auseinandersetzungen begann 1982, als Watzl mit einem Bekannten im selben Auto saß, der gerade zwei Kilo Haschisch an einen Abnehmer ausliefern wollte. Der Abnehmer entpuppte sich als V- Mann der Polizei. Und obwohl sowohl dieser als auch der Verkäufer beteuerten, Watzl hätte mit dem Handel nichts zu tun gehabt, wurde Watzl im darauffolgenden Jahr zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt. Eine längst vergessene Geschichte, sollte man meinen. Doch im Computer des Bundeskriminalamtes (BKA) sind diese Daten und weitere Einträge immer noch gespeichert. Sie alle haben mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu tun, liegen lange zurück und beruhen, so Watzl, zum Teil auf unzutreffenden Anschuldigungen. Gegen die Speicherung dieser Daten klagte Watzl unter Berufung auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Vor dem Wiesbadener Verwaltungsgericht bekam er am 20. November 1996 in dieser Sache Recht: Das Gericht entschied, daß der Polizei die rechtliche Grundlage fehle, die persönlichen Daten des Klägers zu speichern. Der Polizei sei es nur gestattet, körperliche Informationen über Personen erkennungsdienstlich zu speichern, wie etwa Lichtbilder, Größe oder Fingerabdrücke. Davon seien die Einträge der Haschischdelikte streng zu trennen. Auch könne sich die Bundesrepublik als Beklagte nicht darauf berufen, daß für eine Übergangszeit eine gesetzlich nicht gerechtfertigte Speicherung zu dulden sei. Der Gesetzgeber habe seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) im Jahr 1983 gewußt, daß man für die Speicherung und Verwendung von persönlichen Daten durch das BKA eine besondere Gesetzesregelung bräuchte. Abschließend heißt es: „Unter Berücksichtigung des verstrichenen langen Zeitraumes sind Verletzungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, jedenfalls im vorliegenden Fall, nicht länger zu rechtfertigen.“

Die Bundesrepublik hat nach dieser Entscheidung die Berufung beantragt. Watzl selbst ist sich sicher, daß er auch in einer Berufungsverhandlung Recht bekäme. Dabei geht es ihm keineswegs nur ums Prinzip. Für Watzl hat die Schubladisierung als Kiffer spürbare Folgen gehabt: „Bist du erst einmal als Kiffer bekannt, wirst du von vorne bis hinten schikaniert.“ Wegen eines dritten Haschischverfahrens verbrachte Watzl 1994 ein halbes Jahr in U-Haft (zu Recht, wie er eingesteht).

Dort erkrankte er, klagte über Augenbeschwerden. Der Gefängnisarzt Topf behandelte den Insassen nicht angemessen. Aus Watzls Sicht habe der Arzt ihn wegen seiner Haschischvergangenheit nicht behandeln wollen. Die Erkrankung verschlimmerte sich, Watzl wurde nach sechs Monaten mit schweren Nierenschäden als haftunfähig entlassen und in lebensgefährlichem Zustand in ein öffentliches Krankenhaus eingeliefert. Seitdem ist er Dialysepatient. Ein medizinisches Gutachten des Klinikums Nürnberg bestätigte den Verdacht. Das Amtsgericht Ansbach verfügte daraufhin einen Strafbefehl gegen Topf. Watzls Eindruck, Topf habe sich geweigert, ihn zu behandeln, weil er „Kiffer“ sei, konnte dem Arzt nicht nachgewiesen werden. Watzl: „Der Arzt wurde als Einzelperson zur Rechenschaft gezogen. Dabei ging es mir um die haarsträubenden Haftbedingungen an sich. Aber das ist für die Gerichte kein Thema.“

Das Gericht bot dem Arzt unterdessen an, das Verfahren nach Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 8.000 Mark „wegen Geringfügigkeit“ einzustellen. Martin Kaluza

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