: Perspektiven der Hanfwirtschaft – das Duell: Grün werden oder sterben
Der Markt für Hanfprodukte in Deutschland wird 1997 ein Volumen von mindestens 50 Millionen Mark erreichen (nach rund 30 Millionen 1996, 10 Millionen 1995, 5 Millionen 1994 und 0,2 Millionen 1993) – hätte jemand auf die Bedenkenträger der Kohl-Regierung und ihrer Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) gehört, wäre er bis heute gleich null!
Nun sagen solche kurzfristigen Umsatzzuwächse noch wenig über die generellen Zukunftsaussichten, die zwei- oder dreihundert Hanf-Arbeitsplätze in Deutschland helfen nicht gegen die Massenarbeitslosigkeit, und noch weniger können die 1.500 Hektar Hanf von 1996 das globale ökologische Problem lösen – doch ist das ein Grund, das aufsprießende Pflänzchen Hanfwirtschaft kleinzureden? Seit 1993 höre ich Beamte vom Staatssekretär abwärts vor Euphorie warnen, vor Optimismus und naiver Begeisterung, vor utopischen Perspektiven einer regionalen Kreislaufwirtschaft – es sind dieselben Offiziellen, die vor zehn Jahren mit denselben Argumenten eine große Kampagne für die Wiederbelebung der Flachsindustrie gestartet und dafür 80 Millionen Mark Fördergelder verballert haben. Für Hanf wurde bisher von Bundesseite keine müde Mark lockergemacht – ohne die Anbauprämien der EU und die Förderung durch einige Bundesländer gäbe es nicht einmal die ersten bescheidenen Pilot- und Forschungsprojekte.
Flachs liefert wie Hanf wunderbare Textilien, aber keine Medizin, Raps liefert wie Hanf Öl, aber keine Gamma-Linolen-Säure, Holz liefert wie Hanf Papier, aber keine reißfesten Fasern, Chinagras liefert wie Hanf große Mengen Biomasse, aber keine Proteine... Diese Liste ließe sich fortsetzen. Aber das ist nicht entscheidend, und es geht auch nicht darum, Hanf gegen die anderen nachwachsenden Rohstoffe auszuspielen. Jeder hat seine Berechtigung und einzigartigen Vorzüge – aber es gibt eben einen, der die meisten dieser Vorzüge in sich vereinigt. Eine einzige dieser Eigenschaften müßte für ein Institut, dessen Aufgabe in der Förderung nachwachsender Rohstoffe liegt, ausreichen, die Wiederkehr dieser Pflanze zu unterstützen. Daß sich die FNR eher als Hanfbremser denn als Förderer betätigt, hat nichts mit den Eigenschaften des Hanfs zu tun: Selbst auf mäßigem Brandenburger Boden wurde '96 ein Hektarertrag von bis zu 15 Tonnen Trockenmasse erzielt. Und das im Jahr 1 des Hanfanbaus – ohne jede Erfahrung und ohne überdurchschnittliche Düngergaben. Der Grund für die staatliche Hanf-Zurückhaltung ist vor allem darin zu suchen, daß Cannabis für schwere Verwirrung in den Köpfen von denjenigen sorgt, die es nie genommen haben. Daß es sich bei der Promotion des Rohstoffes Hanf nur um getarnte Propaganda für die Haschisch-Legalisierung handelt, diese Verschwörungstheorie schallt mir seit dem ersten Tag entgegen. Jede positive Äußerung über die Nutzpflanze wird als trojanisches Pferd betrachtet, das durch Verharmlosung die Wehrkraft im Drogenkrieg unterminiert. Aus der verkorksten Drogenpolitik leitet sich die dümmste aller Anti-Hanf- Thesen ab, daß es nämlich „nur“ das Charisma des Oppositionellen, der Mythos der Subversion sei, der das Interesse am Rohstoff Hanf schürt. Wären Hanfprodukte nur ein Öko-Gag und das Ganze eine Modeerscheinung, wäre es schon längst wieder vom Markt und aus der Diskussion verschwunden. Tatsächlich aber halten die Produkte, was der Mythos verspricht, und der Hauch des Verbotenen hat dem Rohstoff Hanf einen Markteintritt verschafft, von dem andere nachwachsende Rohstoffe nur träumen können.
Für das nächste Jahrtausend hat unser Wirtschaftssystem nur eine Chance: Grün werden oder sterben. Mathias Bröckers
Der Autor war von 1980–1991 taz- Redakteur, gab 1993 Jack Herers Hanfbibel „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“ heraus und gründete die HanfHaus- Kette
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen