: „Man muß sich gut verkaufen“
Sven Ottke war ein „Amateur aus Überzeugung“. Profiboxen, sagte er, „ist Zirkus“. Jetzt meint er: „Profiboxen ist ein Geschäft.“ Heute steigt er ein ■ Von Peter Unfried
Berlin (taz) – Der Boxer Sven Ottke war Amateur. Jetzt ist er Profi. Und? Nichts und. Das ist alles. Ein Mann in der Blüte seiner Jahre hat „sein Hobby zum Beruf gemacht“. Das, sagt er, „ist doch toll“.
Vielleicht sollte man doch eine kleine Nachbemerkung wagen. Sven Ottke (29), zweimal Europameister, elfmal deutscher Meister, war nicht irgendein Amateur. Vielleicht ist es übertrieben zu sagen, er wäre der letzte Amateur gewesen. Er war aber einer „aus Überzeugung“, einer, für den das Erlebnis Olympische Spiele tatsächlich „das Größte“ war.
Was das Profiboxen betrifft: „Sport ist das nicht“, hat er dem Spiegel im Sommer gesagt und davon gesprochen, nach Sydney zu wollen, im Jahre 2000. Heute nun steigt er in der Berliner Max- Schmeling-Halle im Vorprogramm des Halbschwergewichtskampfes Rocchigiani–Scully zu seinem ersten Profikampf in den Ring. Es ist nicht so, daß ihm alles nun behagte, was ihn vorher am „Zirkus“ gestört hat. Er sieht die Sache bloß aus einer anderen Perspektive. Also, die übliche Tour der „sogenannten Aufbaukämpfe“ (Ottke) beginnt. Sein Gegner heißt Eric Davis, hat 19mal geboxt und fünfmal gewonnen. Unlängst durfte sich der Kollege Beyer mit Davis' Hilfe aufbauen (K.o. 6. Runde). Einer will hoch, der andere eher nicht. „So ist das“, sagt Ottke, „wäre ja albern, im ersten Kampf gleich gegen den Europameister zu boxen.“ Alles ist „nur dafür da, damit ich am Tag X bestehen kann“. Für vier Jahre hat der Veranstalter Wilfried Sauerland ihn unter Vertrag genommen, mit Option auf zwei weitere. „In zwei Jahren“, sagt Sauerland, „soll er um die EM boxen.“ Ein EM- Kampf ist das erste Zwischenziel.
Ottke hat einst den WBO- Weltmeister Dariusz Michalczewski zweimal geschlagen, den Titelaspiranten Torsten May gleich fünfmal. Und daraus, sagt sein Trainer, hat er geschlossen: „Was die können, kann ich auch.“ Anfang März hat der seinen 331. und letzten Amateurkampf gemacht (287 Siege), danach hat Ulli Wegner die Arbeit mit ihm aufgenommen. Wiederaufgenommen. Wegner (54) war bis Olympia Trainer beim Deutschen Amateur-Box- Verband. Nicht einer, der erfolgreichste weit und breit. Nun arbeitet er mit Sauerlands Boxern in Köln. Aus zwei Gründen: wegen der „sportlichen Herausforderung“ und wegen des „finanziellen Aspekts“. Es gilt, den wuselnden Amateurboxer Ottke auf Profigeschwindigkeit herunterzudrosseln.
Daß er in den vielen Jahren stets behutsam mit seinem Körper umging, soll ihm nun zugute kommen. Ottke ist kein Knockouter, vor allem aber ist er keiner, der gerne getroffen wird. Kurz hin – wieder weg. Ist einer eindeutig besser, wie der Kubaner Ariel Hernandez in Atlanta, verliert Ottke, vermöbeln läßt er sich deshalb nicht.
Atlanta hat dem Amateur Ottke aber nicht nur zugesetzt, weil er die anvisierte Medaille verpaßte. Dreimal war er bei Olympia. Wenn er von Seoul redet, wird er ganz aufgeregt, bei Barcelona ruhiger, und bei Atlanta schaut er finster. Mit Erwartungen ging er hin auf ein Erlebnis, das die vier Jahre Training rechtfertigen sollte – und fiel im Angesicht der Spiele „ganz tief in den Keller“. Olympia sah er, war auch „nur fürs Fernsehen aufgebaut“.
Es kam dazu, daß sein Arbeitgeber Mercedes-Benz die Förderung Ende 1997 auslaufen läßt. Es kam dazu, daß er zu Wilfried Sauerland Vertrauen faßte. Den Konkurrenten Kohl mag er nicht und dessen Praktiken, seine Helden bisweilen allzu wahllos mit Gegnern zu versorgen. „Dann ist der erste krank, dann noch einer, dann kommt wieder der davor, das kann es nicht sein.“
Daß Profiboxen kein Sport sei, mag er jetzt aber nicht mehr sagen. Er sagt dafür: „Profiboxen ist unsauber.“ Er lernt gerade die Tricks. Er sagt: „Profiboxen ist ein Geschäft. Je erfolgreicher man ist, desto mehr Geld verdient man.“
Den Begriff „sportlicher Erfolg“ verwendet er mal beschwörend, mal bloß nebenbei. Es hört sich an, als wolle er sich selbst überzeugen. „Die Leute wollen Gewinner.“ Die Leute wollen manchmal auch noch ein bißchen mehr, seit der Fernsehsender RTL (hauptsächlich) und in seinem Gefolge andere das Boxen familienkompatibel gemacht haben. Knapp 50 Prozent der Seher sind weiblich, auch die männlichen Seher sind längst nicht alle Experten für linke Haken und die Halbdistanz. Maske war „der Gentleman“, gewann einst und wirbt noch heute, Rocchigiani soll die „ehrliche Haut“ geben, das ist heute abend wieder in der Probierphase. Und Ottke? „Ich soll der liebe Freund von nebenan sein“, fragt er, „oder der liebe Sohn?“
Vielleicht weiß er ja etwas viel Besseres? Weiß er nicht. Hat sich „keine Gedanken“ gemacht. Bringt ja nichts, weil es „die Medien sind, die dich zu dem machen, zu dem sie dich machen wollen, im Erfolgsfall“. Er hat „diesbezüglich“ nichts vor. „Man muß sich gut verkaufen. Aber mich in so eine Gentleman-Sache reinzwingen zu lassen wäre albern“, sagt er, „ich bin kein Typ, der mit Schlips und Krawatte durch die Gegend rennt. Ich bin eher stinknormal.“ War Maske allerdings auch, bevor er Weltmeister wurde. RTL-Informationsdirektor Hans Mahr hat aber soeben versprochen, man verpflichte Boxer nicht, „um sie zu ändern“. Daß Ottke einer fürs Fernsehpublikum werden soll, hat er aber schon mehrmals bekräftigt.
Ottke wiegt, wenn er nicht boxt, etwa 80 Kilo. Das Supermittelgewicht (76,2 kg), in dem er nun wirkt, ist bis auf den Ausnahmeboxer Roy Jones jr. ziemlich weit offen. Könnte sein, daß der demnächst ins Halbschwergewicht abwandert. Außer Jones weiß Ottke keinen, „den ich bestimmt nicht schlagen könnte“.
16 Kämpfe sind in den nächsten zwei Jahren vorgesehen, hauptsächlich gegen Leute, die nicht auf dem Karrieresprung sind. Er wird in Karlsruhe bei Frau und Kind leben und erst zur unmittelbaren Wettkampfvorbereitung nach Köln gehen. Was ihn einst am meisten genervt hat, war das fehlende Setzen, das ihn eine Olympiamedaille kostete. Das war ungerecht. Nun kann er eingreifen: „Gegen Roy Jones will ich nicht unbedingt boxen.“ Folglich: „Es gibt vier Verbände. Ich kann auch einen anderen nehmen.“
Wenn alles wie geplant läuft, wird er das in drei Jahren tun. Einen Haken allerdings hat die Sache: „Wenn ich nicht gewinne, kann ich nach Hause gehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen