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Jetzt regiert der Unternehmergeist

Wie eine Kleinstadt im Norden Zaires die „Befreiung“ erlebt: Im Goldfördergebiet arbeiten die neue AFDL-Staatsmacht und die Minenbetreiber einträchtig zusammen  ■ Aus Mongbwalu Dominic Johnson

Es gibt drei Soldaten in Mongbwalu. Der eine ist klein und gedrungen, sagt kein Wort und läuft im T-Shirt und mit finsterem Blick in den engen Straßen dieser nordostzairischen Kleinstadt herum. Der zweite ist groß und dürr und tadellos gekleidet, mit einer Bilderbuchuniform, einem roten Béret und blitzblanken braunen Lederstiefeln. Er marschiert ganz vorsichtig, so als könne er explodieren, denn er ist behangen mit Handgranaten und Munition wie ein Weihnachtsbaum im Schützengraben.

Der dritte ist verdreckt von oben bis unten, fährt in nicht mehr ganz nüchternem Zustand ein rotes japanisches Motorrad und sagt bei jeder Gelegenheit mit nicht mehr ganz fester Stimme: C'est moi le commandant – Ich bin der Kommandant. Unter dem Kommando dieses Kommandanten durch Mongbwalu eskortiert zu werden erregt Aufmerksamkeit, aber gefährlich ist es nicht. Der Kommandant ist auf gutmütige Art halb betrunken, und er wird nicht einmal ungemütlich, wenn seine dringende Bitte nach einem Radio und einer französischen Frau abschlägig beschieden wird.

Auf dem Rückweg hinunter in das Stadtzentrum fällt der Kommandant bei einer besonders halsbrecherischen Kurve von seinem Rad und muß sich blutüberströmt ins Krankenhaus bringen lassen, wo er sich aber nicht behandeln lassen mag, weil er Angst vor der westlichen Medizin hat. Statt dessen geht er einfach nach Hause. Nun hat Mongbwalu also vorläufig nur noch zwei Soldaten. Zum Glück saß der mit den Handgranaten nicht mit auf dem Motorrad, sonst wären wahrscheinlich keine mehr übrig gewesen.

Das ist Befreiung: Soldaten, über die man auch mal lachen kann. Seit Ende letzten Jahres ist Mongbwalu unter Kontrolle der „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex- Zaire“ (AFDL), der Rebellenbewegung, die sich anschickt, das Mobutu-Regime in Zaire von der Macht zu verjagen. Fragt man die Bewohner von Mongbwalu nach der alten Regierungsarmee, erzählen sie Horrorgeschichten. „Sie konnten einen einfach so verhaften“, erinnert sich Paul Mudimba. „Auch wenn man alle seine Papiere hatte, mußte man die Soldaten mit nach Hause nehmen und ihnen etwas zu essen geben. Bevor sie abzogen, haben sie die Geschäfte ausgeplündert und sind in alle Häuser gegangen. Es gab drei oder vier Fälle, wo sie eine Mutter vor ihren Kindern vergewaltigten. Zweimal wurde ein Vater gezwungen, mit seiner Tochter zu schlafen. Sie nahmen Geiseln, um Benzin für die Flucht zu erpressen.“ Jetzt herrscht eine neue Zeit: „Wir hätten nie gedacht, daß Leute von hier sich benehmen können wie Soldaten in Europa.“

Am Gold von Mongbwalu hängen Mobutu und Kabila

Mongbwalu ist eine staubige Stadt in einer entrückten, hügeligen Savannenlandschaft. Die Löcher in der Hauptstraße sind selbst für zairische Verhältnisse außerordentlich tief, die Häuser außerordentlich schäbig. Aber die Marktstraßen sind voll, es gibt reichlich Strom, nachts sind die Bars mit bunten Lämpchen erleuchtet, aus einer mit blauen UNHCR-Planen überdachten Kneipe dröhnt Tanzmusik.

Mongbwalu ist eine Goldstadt. Hier hat die multinationale Bergbaugesellschaft „Kimin“ ihren Sitz, die 2.000 Quadratkilometer des Konzessionsgebiets Kilomoto ausbeutet – ein Gesamtareal von mehreren zehntausend Quadratkilometern. Der „Kimin“ gehört in Mongbwalu der gesamte Boden, sie bietet in dem Ort von 45.000 Einwohnern 1.700 Arbeitsplätze. Weil unter der Erde Gold liegt, das eines Tages gefördert werden könnte, sind die meisten Geschäftshäuser von Mongbwalu einfache Verschläge, die man kurzfristig auseinandernehmen und woanders hinstellen kann.

Am Gold von Kilomoto hängen naturgemäß sowohl Diktator Mobutu wie auch die AFDL-Rebellen von Laurent-Désiré Kabila. Mongbwalu war also ein wichtiges Ziel für die Soldaten der AFDL, nachdem sie im Laufe des Dezembers die Regierungsarmee aus der nächsten größeren Stadt Bunia nahe der ugandischen Grenze vertrieben. Geschlagen zogen damals über 4.000 Regierungssoldaten durch Mongbwalu – die ersten plünderten gründlich, die letzten wollten nur noch schnell weg. „Im ersten Jeep, der am Tag des Falls von Bunia hier ankam, saßen zwei Weiße“, erinnert sich Willy, ein Angestellter der „Kimin“. „Bei ihnen war der Truppenkommandeur Mokoko und ein Haufen Geld.“

Jeder fühlt sich auf eigene Art „befreit“

Dann kamen die „Befreier“. Geleitet wurden sie, so berichten übereinstimmend verschiedene Bewohner Mongbwalus, von einem „Kommandant David“ aus Uganda, der als erstes den örtlichen Billigschnaps aus Mais verbot und in der Stadt einige Diebe hinrichten ließ. „Wer unseren Leuten Alkohol verkauft, wird erschossen“, habe „David“ verkündet. Dann wurde er an die Kriegsfront bei Kisangani versetzt, Einheimische übernahmen die Kontrolle. Die sahen das alles lockerer. „Sie kamen mit Hunderten Kisten Whisky“, erinnert sich einer.

„Als die Befreier kamen, fühlten sich die Leute halt befreit“, bringt es ein Unternehmer auf den Punkt. „Und jeder hatte seinen eigenen Begriff von Freiheit.“ Die Bergwerksingenieure zum Beispiel meinten, nun gehöre das Bergwerk ihnen – mit einem paradoxen Ergebnis: Sie kehrten zur Arbeit zurück, die sie in den Monaten zuvor aufgrund der Unsicherheit und der kriegsbedingten Schließung aller Verkehrswege hatten einstellen müssen. Eine Sekretärin der „Kimin“ schimpft lauthals, wie schrecklich ausgebeutet sie sei mit ihrem Gehalt von nur 150 Dollar im Monat – man muß wissen, daß es in Zaire Monatsgehälter im Wert eines halben Dollars gibt, die oft nicht einmal bezahlt werden. Von einer protestantischen Sekte, wie sie hier zahlreich vertreten sind, wird erzählt, daß sie sich so frei gefühlt habe, jeden Tag um vier Uhr morgens ihr Frühgebet per Lautsprecher durch die Straßen hallen zu lassen.

Der AFDL liegt vor allem die unternehmerische Freiheit am Herzen. Luc Stinjs, der belgische Generaldirektor der „Kimin“ und damit der faktische Gebieter über Mongbwalu, ist hoch zufrieden. „Ich beobachte bei der Allianz den Willen, uns zu helfen, unsere Aktivitäten so schnell wie möglich wiederaufzunehmen“, sagt er. Sein Traum ist es, die 1990 zwischen der Regierung Zaires und der Weltbank vereinbarte „Minenkonvention“ endlich in die Tat umzusetzen.

Die sieht vor, die zuvor im Staatsbesitz befindlichen, jahrzehntelang vernachlässigten Goldminen 25 Jahre lang von Privatinvestoren betreiben und erneuern zu lassen. Zunächst sollten Investitionen von 145 Millionen Dollar über vier Jahre die Goldförderung auf acht Tonnen pro Jahr ansteigen lassen. Dazu kam es nie, weil Mobutu sich 1991 gegen eine Demokratisierung Zaires stellte und das Ausland sich zurückzog. Die Minen verfielen, die Produktion kam zum Erliegen. Mit der „Befreiung“ ist nun wieder die Möglichkeit aufgetaucht, die alten Pläne umzusetzen.

Tausende Goldschürfer strömen in die Minen

Stijns ist des Lobes voll: „Die Allianz hat uns wissen lassen, daß sie die unterschriebenen Verträge respektiert, und sie hat sich verpflichtet, im Rahmen der Minenkonvention zu arbeiten.“ In Goma, Hauptstadt der AFDL, äußert sich Wirtschaftsminister Mwanananga Mawapanga ähnlich: „Wir werden alles tun, um den Unternehmern das Leben zu erleichtern“, sagt er. Nach eigenen Angaben hat er Kontakte mit der ghanaisch-südafrikanischen Goldminengesellschaft Ashanti Goldfields aufgenommen, die in einem anderen Teil von Kilomoto 25 Millionen Dollar investieren will.

Vor Ort ist das gute Verhältnis zwischen AFDL-Staatsmacht und Bergbauunternehmen noch deutlicher. Denn beide Seiten haben ein Interesse an der Förderung des Goldes. In Ermangelung von millionenschweren Investitionen holen also direkt außerhalb von Mongbwalu Kleinschürfer und Goldwäscher das Edelmetall auf primitivste Weise aus dem schlammigen Grund des stillgelegten Tagebaus. Vier halbnackte Männer stehen knietief im grauen Matsch und gießen eine Mischung aus Erde und Wasser in ein kompliziertes Rohr- und Filtersystem, an dessen Ende ein paar Flocken glitzernder gelber Staub auftauchen – wenn man Glück hat. „Wir sind Ex-Zairer“, beschreiben sie sich selbst, ganz loyal gegenüber den neuen Herren – kein Wunder, denn sie verdienen pro Woche zuweilen 50 Dollar. Auch Kinder sind dabei: Der zwölfjährige Mbanonongo kommt jeden Tag nach der Schule und hilft. Er fühlt sich von der AFDL auf seine Weise befreit: „Wir zahlen kein Schulgeld mehr“, sagt er und grinst.

Schätzungsweise 20.000 Goldsucher arbeiten in kleinen Gruppen auf dem Gelände der „Kimin“ – und die duldet es nicht nur, sondern ermutigt es. Sie registriert alle Goldsucher, weist ihnen Schürfgebiete zu, ermöglicht ihnen Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen und erhebt im Gegenzug eine „Steuer“ von einem Gramm Gold die Woche. Die „Kimin“ kauft den Goldsuchern auch letztendlich, über den Umweg der vielen kleinen privat betriebenen Handelsstellen an der Hauptstraße von Mongbwalu, das von ihnen geförderte Gold ab. Für 1,23 Gramm werden dort 10 Dollar bezahlt, und die Preise sinken, weil immer mehr Schürfer aus dem ganzen Norden Zaires kommen und immer mehr Gold gefördert wird. Es gibt auch immer mehr Ankäufer: Der belgische Bergbauunternehmer Alain Goetz besuchte Anfang März das nahe Bunia und kaufte 40 Kilogramm Gold. Goetz überlegt nach AFDL-Angaben, seine Goldveredelungsaktivitäten in Burundi, die er im vergangenen Sommer aufgrund der gegen das Land verhängten Sanktionen einstellen mußte, im „befreiten Gebiet“ von Zaire wiederaufzunehmen.

Das Gold ist für die AFDL ein zentraler Wirtschaftszweig, und so macht sie die Förderung so einfach wie möglich. „Früher kamen immer Soldaten und wollten den Chef sehen, also mich“, sagt der leitende Ingenieur Willy. „Sie fragten mich: Können Sie uns was geben? Ich mußte mich dann mit den Goldsuchern arrangieren, daß man ihnen was gibt. Heute wird niemand mehr gestört.“ Die von ihm aufgebaute und geleitete Fördergrube „Willy-Rif“ direkt neben dem Areal der Goldsucher mußte er nach drei Jahren Arbeit 1996 wegen der Plünderungen der Armee aufgeben. Wagen und Rohre rosten still neben einem tiefen Teich. Luftblasen steigen aus dem Wasser auf, denn darunter liegen die unterirdischen Gänge, in denen das Gold gefördert wurde.

Für Willy war das „Willy-Rif“ im wahrsten Sinne des Wortes eine Goldgrube. In drei Jahren betrug sein Anteil an der Förderung zwölf Kilogramm, nach seiner Rechnung fast 160.000 Dollar. Und Willy ist typisch für die neue Zeit: Er ist nicht nur steinreicher Minenleiter, sondern auch überzeugter Anhänger der AFDL – die es hier nicht nötig hat, mit dem Gewehr zu regieren, sondern sich auf den Unternehmergeist verlassen kann. Willys Freunde, zu denen er abends die fremden Besucher führt, sind Mitglieder eines Jugendkomitees, die mit leuchtenden Augen revolutionäre Sprüche zum besten geben. Boniface Yemba Poyo, „Hauptanimateur“ einer „Befreiungskampagne“, die sich in Mongbwalu als „Organ der Volkserziehung“ versteht, spricht überschwenglich von „Bewußtseinserweckung“ und „Veränderung der Mentalitäten“. Goldchef Willy sitzt daneben, lächelt in sich hinein und schweigt. Seine Mentalität, das weiß er, muß er nicht ändern. Er gehört zur neuen Zeit. Wie Paul Mudimba es ausdrückt: „Wir haben Mobutus Tiger verjagt. Jetzt hoffen wir auf das Leben.“

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