: Tankstellenpächter mutieren zu Supermarktchefs
■ Shell ist Vorreiter. Angriff auf Einzelhandel und Imbißbuden. Pächter empört
Berlin (taz) – Wenn es nach den Vorstellungen der Deutschen Shell geht, dann konkurriert das Mineralölunternehmen bald nicht mehr so sehr mit BP, Dea oder Esso. Statt dessen müssen sich Edeka, Rewe und Penny womöglich warm anziehen. Denn Shell will bis zum Jahr 2000 500 bis 600 seiner Tankstellen-Shops von Grund auf umkrempeln.
Supermärkte mit Zusatzangeboten („Convenience“-Märkte) wolle man an lukrativen Standorten vor allem in den Innenstädten aufbauen, so Thies J. Korsmeier, Vorstandsmitglied der Deutschen Shell. Neben dem ohnehin schon breiten Angebot an Schokolade, Knabberzeug und Getränken sollen die Shops demnächst auch Fast food, Frischwaren und Dienstleistungsangebote wie Geldautomaten oder Reisedienste offerieren.
Zunehmend sei man auf Einnahmen außerhalb des eigentlichen Spritgeschäftes angewiesen, sagt der Sprecher der Deutschen Shell, Rainer Winzenried. Im vergangenen Jahr setzte jede der 1.700 Shell-Stationen durchschnittlich 1,2 Millionen Mark im Shop-Geschäft um, das entsprach 35 Prozent des Umsatzes, während mit dem Verkauf von Kraftstoff lediglich durchschnittlich 29 Prozent des Gesamtumsatzes erzielt wurde. Im Vergleich dazu hatte 1983 der Anteil des eigentlichen Spritgeschäftes noch 41, der Beitrag der Shops zum Umsatz lediglich 19 Prozent ausgemacht. Tendenziell könne der Anteil des Shop-Geschäftes am Gesamtumsatz auf mehr als fünfzig Prozent steigen, so Winzenried.
Beim Bundesverband des Deutschen Tankstellen- und Garagengewerbes (BTG) stößt die geplante Neuerung auf keine Gegenliebe. „Dieses Konzept ist zu starr“, stellt Joachim Jäckel fest. Er ist Vorsitzender des BTG und hauptberuflich Shell-Pächter in Düsseldorf. „Einzelhändler müssen Spielraum haben, auf die örtliche Nachfrage zu reagieren“, so Jäckel. Viele Pächter fürchten Umsatz- und Gewinneinbußen, wenn ihnen diktiert wird, wie sie ihre Shops gestalten sollen.
In der Hamburger Zentrale der Deutschen Shell startet unterdessen die erste Phase der Shop-Umgestaltung. Hundert Läden sollen bereits in diesem Jahr umgekrempelt werden. Zwar soll zunächst den angestammten Pächtern die Weiterführung der Tankstellen inklusive Shop angeboten werden. Lassen sie sich jedoch nicht auf das Modell ein, zu dem ein neuer Agenturvertrag gehört, will Shell verstärkt auf neue Leute setzen. Man habe bereits einen ehemaligen Edeka-Geschäftsführer eingestellt, sagt Rainer Winzenried.
Beim Bundesverband des Deutschen Tankstellen- und Garagengewerbes hat man das Konzept als Kampfansage begriffen. „Wenn wir bei Shell keinen Einfluß mehr nehmen können, werden wir uns Gedanken machen müssen, die Zusammenarbeit aufzukündigen“, meint BTG-Vorsitzender Jäckel.
Der Einzelhandel sieht der zusätzlichen Konkurrenz durch die Shell-Shops gelassen entgegen. „Angesichts von Preisen, die bis zu 107 Prozent über denen in Supermärkten liegen, werden die Tankstellen auch mit neuem Konzept keine ernsthafte Gefahr für den Einzelhandel werden“, sagt Steffen Kern vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels.
Shell ist allerdings schon einen Schritt weiter: Bei der Umgestaltung von 500 bis 600 der 1.700 Shell-Stationen im Lande müsse der Konzern „auch etwas an den Preisen für unsere Waren und Dienstleistungen tun, um den Tankstellen das Apotheken-image zu nehmen“, so Korsmeier. Die anderen Spritkonzerne reagieren unterschiedlich. Während Deutschlands Nummer eins, Aral, abwarten will, haben RWE-DEA und die Spar-Handels-AG gestern eine Zusammenarbeit vereinbart: Spar beliefert bundesweit 80 DEA- Tankstellen mit Nahrungsmitteln. Ob der Wandel zum einheitlichen Konsum- und Dienstleistungsparadies Preissenkungen forcieren kann, bleibt dabei jedoch offen. Gudrun Giese
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