piwik no script img

Erst haut die "Bildzeitung" drauf, dann starten "Stern" und Viva die Therapie. Rückblick auf eine Woche mit TicTacToe

„Ich bin doch auch nur ein Mensch. Und wenn man versucht, mir den Tod eines anderen Menschen in die Schuhe zu schieben, möchte ich jetzt ausrasten und schreien“, sagt Lee, Sängerin von Tic Tac Toe, im Stern. Tut's aber nicht. Statt dessen setzt sie sich auch noch bei Viva auf die Couch und versucht, allen zu erklären, was erstens nur wenige Leute etwas angeht, was aber zweitens trotzdem seit einer Woche über die Schlagzeilen der Boulevardmedien verhandelt wird: den Selbstmord ihres Ehemanns, ihren Drogenkonsum und die Arbeit in einem Bielefelder Eroscenter.

Frech und süß waren Tic Tac Toe. In Zeiten, wo jungen Frauen, die muntere Liedchen trällern, ein zweifelhaftes emanzipatorisches Potential namens „Girlie“ zugesprochen wird, bedeutet das, daß sie auf dem Niveau eines Hanni- und-Nanni-Romans auch mal über die Stränge schlagen dürfen. Also Erwachsene ärgern und Eierlikör trinken, während die Medien auch gern mal ein Auge zudrücken, denn sie sind aber auch zu putzig, die Mädels!

Daß nicht alles so harmlos war, wie es aussehen sollte, konnte man ab letzter Woche täglich durch diejenigen erfahren, deren Job es ist, in der Privatsphäre anderer Menschen herumzuschnüffeln: „Sie wurde Star, ihr Freund erhängte sich“, titelte Bild. „Skandale bringen die Einschaltquote, das ist Boulevardjournalismus“, weiß auch der Redakteur des Iserlohner Kreisanzeigers, als er auf Viva erzählt, daß bei ihm nach Bekanntwerden des „Skandals“ die Telefone heiß liefen.

Nun kann eigentlich niemand ernsthaft erwarten, daß Bild eine freundliche Geschichte zum Thema „wie der Ehemann eines jungen Popstars sich umbringt und nebenbei herauskommt, daß sie für kurze Zeit im Puff gearbeitet hat und Drogen nahm“, schreibt oder so eine Story gar unter den Tisch fallen läßt. Was aber später u.a. bei Viva als „Hetzkampagne angesprangert wird, ist vor allem ein Beleg dafür, daß die billigsten Unterstellungen, gepaart mit Sexismen, immer noch jede Geschichte zur Story machen: So ist, wer als Hure gearbeitet hat, eine skrupellose Schlampe, der auf dem Weg nach oben alles recht ist und die für ihre Karriere auch den Ehemann in den Tod treibt. Harte, als Fakten getarnte Vorwürfe in einem Land, in dem die nationalen Popstars, vor allem wenn sie Frauen sind, möglichst nicht jenseits sozialdemokratischer Wertevorstellungen aufmüpfen sollen und Glamour dadurch erzeugt werden soll, sie auf „Keine Macht den Drogen“-Plakaten zu postieren.

Spätestens an dieser Stelle fühlen sich auch die „seriösen“ Medien zum gerechten Kampf gegen die bösen Bild-Zeitungsreporter herausgefordert. Der Stern übernimmt den Job, Ricky, Jazzy und Lee zur Exklusivbeichte zu bitten. Jetzt dürfen bzw. müssen sie erzählen, und bei kleinen Popmädchen reden die Stern-Reporter nicht lange um den heißen Brei: „Stimmt es, daß Sie im Rotlichtmilieu gearbeitet haben?“ – „Nehmen Sie Drogen?“ – „Haben Sie auch schon mal an Selbstmord gedacht?“ Leider ist Papier so leidenschaftslos, weshalb man sicherheitshalber mit dem Satz beginnt: „Die Tränen flossen. Schluchzend erzählte Lee aus ihrem Leben.“ Die Variante der „seriösen“ Medien war somit geboren: die ärmliche Kindheit in einem Vorort von Iserlohn, der Wille, sich selber aus dem Dreck zu ziehen, um dabei für kurze Zeit auf die schiefe Bahn zu geraten: Trennung, Verschwinden des Ehemanns und tragischer Selbstmord.

Eigentlich wissen inzwischen alle mehr als genug, aber wann Schluß ist, das bestimmt immer noch die Redaktionskonferenz. Und die setzte Donnerstag in der Viva-Sendung „jam“ zum finalen Coup an: eine Stunde lang alle Intimitäten von Tic Tac Toe! Mit Freunden, Feinden, Managern, der Mutter des toten Ehemanns und vielen Bildern von der Beerdigung in Lees Heimatstadt, die inzwischen auf dem besten Weg ist, die Bronx von Nordrhein-Westfalen zu werden. Die Lebensweisheiten rangieren zwischen „Sie ist eine Schlampe. Wir müssen sie daran hindern, weiterzumachen“ (namenloser Dorfproll) und „Er ist ein Mann. Ein Mann steckt rein, und bei einer Frau wird reingesteckt“ (Lee). Endlos unterlegt mit einem gesungenem „Warum“ aus dem gleichnamigen Hit.

Die Schlacht ist gewonnen, gesiegt haben die Plattenfirma und die Medien. Brav erwähnt Lee noch, daß die Einnahmen aus dem Stern-Interview nach Sarajevo gehen, und dann sagt sie zum Abschied: „Wenn ihr keinen habt, an den ihr euch wenden könnt, schickt uns ein Fax. Ich weiß, wie das ist!“ Noch ein paar Probleme mehr, das ist sicherlich das, was Tic Tac Toe im Moment am besten gebrauchen können. Heike Blümner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen