: Eine Siegermacht gibt nichts her
Im nationalen Überschwang überstimmt Rußlands Unterhaus Jelzins Veto gegen einen Gesetzentwurf, der die Rückgabe geraubter Kunstgüter nach Deutschland verhindern soll ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Der Streit in Rußland um die Rückgabe der aus Nazideutschland exportierten Kunst ist längst zu einer Glaubensfrage geworden. Das Unterhaus der Duma erklärte gestern mit überwältigender Mehrheit das Veto Präsident Jelzins gegen das „Restitutionsgesetz“, das sich gegen eine Rückgabe der Kunstgüter wendet, für ungültig. Um ein Veto des Staatsoberhauptes zu überstimmen, bedarf es nach der russischen Verfassung einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. 308 Abgeordnete sprachen sich gegen den Eingriff des Präsidenten aus – acht mehr als erforderlich. Lediglich 15 Parlamentarier zeigten sich bereit, dem von beiden Seiten emotional hochgepeitschten Zwist ein Ende zu setzen. Die Abstimmung offenbarte indes, daß Volksvertreter jeder politischen Couleur die Rückgabe der Beutekunst ablehnen.
Im nächsten Schritt muß das Oberhaus, der Föderationsrat, ebenfalls mit zwei Dritteln dem Schritt des Unterhauses folgen. Dann wäre Präsident Jelzin gezwungen, binnen sieben Tagen das Gesetz zu unterzeichnen. Oder er muß durch einen Beschluß des Verfassungsgerichts das Inkrafttreten des Gesetzes verhindern.
Wann sich das Oberhaus, in dem die zum erstenmal aus freien Wahlen hervorgegangenen Gebietsgouverneure versammelt sind, sich mit dem Gesetz befaßt, steht noch nicht fest. Seit den Regionalwahlen im Herbst hat sich die Fraktion der Jelzin-Getreuen empfindlich dezimiert. Sprach sich der Föderationsrat in seiner alten Zusammensetzung vor gut einem Jahr noch mit Jelzin gegen das Gesetz aus, waren die Gebietsvertreter im März mit einer Ausnahme bereits einhelliger Meinung: Die Kunst bleibt in Rußland.
Boris Jelzin machte in einem Brief an den Vorsitzenden des Oberhauses, Jegor Strojew, kürzlich darauf aufmerksam, daß das vorliegende Gesetz gegen internationales Recht und bereits unterzeichnete Abkommen verstoße. Das Unterhaus legt indes geringen Wert darauf, weil es das moralische Recht auf seiner Seite wähnt. Bei dem mehrheitlich von Chauvinisten und Kommunisten dominierten Gesetzgebungsorgan überwiegt ohnehin das Gefühl, der Sieger des Zweiten Weltkriegs brauche sich keine Vorschriften machen zu lassen. Der Streit um die Nato-Osterweiterung hat dieser Position weiteren Zulauf verschafft. So sind die Abgeordneten auch nicht geneigt, zu differenzieren. Selbst über die von den Nazis in Polen, Frankreich, Ungarn und Holland geraubten Kunstgegenstände, die die Rote Armee nach Kriegsende nach Hause transportierte, wollen sie nicht verhandeln. Ihr Feindbild nimmt Konturen an.
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