: Die Unsicherheit der Buchstaben
■ Rhetorische Rundungen inbegriffen: Eine Ringvorlesung über das prekäre Verhältnis von Literatur und Philosophie
Ringvorlesungen sind Kolloquien auf dem demokratischen Boden von Massenuniversitäten. Abseits kratzfüßelnder Tagungsgemeinden unterliegen sie dem Gedächtnis eines Publikums, das vom babylonischen Vorlesungs- Ringelreihen Woche für Woche ein Minimum an Kontinuität einfordert. Die Ringvorlesung, mit einem Wort, ist Humboldts Rückkehr an die Universität.
Richard Faber und Barbara Naumann an der Freien Universität versuchen derzeit eine Potenzierung des Unterfangens: eine Ringvorlesung zur „Literarischen Philosophie – philosophischen Literatur“. Da sieht man Schiller und Hölderlin vom Olymp ihres deutschen Bildungsbegriffs winken: das individuelle Allgemeine, es möge endlich Gestalt annehmen. Selbstredend ist die Jenenser Clique (Hölderlin, Schelling, Hegel) im Ring der Rostlaube (in einem Vortrag von Christian Iber) vertreten – auch Platon, Montaigne, Musil und Sartre werden als Zeugen der schönen Erkenntnis bemüht. Das Gespann Naumann/Faber – zwei FU-Eigengewächse – hat mit dramaturgischem Gespür für den Spannungsbogen der Vorlesungsreihe gesorgt: Mit Achim Geisenhanslükes Foucault-Vortrag und dem Nietzsche-Vortrag des De- Manisten Werner Hamacher aus Baltimore geben zwei Nachmoderne den Ein- und Ausblick aufs Literarische der Philosophie.
Daß es dabei nicht um die Kunst des Schönschwätzens geht, darauf verwies der Tübinger Phänomenologe Norbert Wokart in seinem Einleitungsvortrag vergangene Woche. Das Literarische sei jenseits der blumigen Rede ein „Wissen, das nicht etwas über etwas aussagt“. Wokart klinkte sich damit in den Platonischen Diskurs über die Grenzen der argumentierenden Rede ein, die im Undefinierbaren einer „ekstatischen Schau“ ihren Ursprung habe: „Nicht das aussagende und beweisende Reden des Philosophen“, so der Philosoph in Berufung auf den Florentiner Coluccio Salutati (1331–1406), „sondern das erfindende und hinweisende des Dichters ist die angemessene Form menschlichen Wissens.“ Es gibt eine Wissensproduktion vor der Hypothese: eine assoziativ entdeckte „Ähnlichkeit“ von Erfahrungen führt zu einer Erkenntnis, die den Stempel des absolut Neuen trägt. Umberto Eco und Carlo Ginzburg sprechen hier vom Verfahren der Abduktion, einer ihrer Hauptzeugen für den Erfolg dieser Methode ist Sherlock Holmes.
Davon kein Wort bei Norbert Wokart. Statt über die Literarizität abduktiver Verfahren im philosophischen Text weiter nachzudenken, landete er schnell wieder beim langweiligen Gegensatz von Bild und Begriff, um so bei einer nicht minder langweiligen Verfallsgeschichte der Philosophie von Descartes bis Tugendhat zu enden. Der Referent dieser Woche, Achim Geisenhanslüke, hatte dem einiges entgegenzusetzen. Eine Rettung Descartes vor seiner Einschreibung in die Geschichte philosophischer Rationalisierungen findet sich in Geisenhanslükes Schrift „Foucault und die Literatur“ (Opladen 97). Descartes sei, so der Duisburger Literaturwissenschaftler am Dienstag in Dahlem, nicht anders als der „große Cartesianer Foucault“ vor allem ein großer Phantast gewesen.
Ihrer beider Leidenschaft war die Taxinomie, die Erinnerung an Ordnungsräume, unendlich wie die berühmte Tierklassifizierung bei Borges: „a) die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte, c) gezähmte, d) Spanferkel, e) Sirenen“ usw. usw. Mit Foucaults Materialverliebtheit – und gegen seine Philosophie vom „Verschwinden des Subjekts“ – las Geisenhanslüke den Philosophen literarisch: als großangelegte Erinnerungsarbeit.
Um die Frage der Ringvorlesung nach dem Verhältnis von Literatur und Philosophie am Begriff vorbei auf den Punkt zu bringen, fand er zuletzt zu den rhetorischen Rundungen des Chiasmus: „Philosophie ist literarisch, weil sie mit Darstellung zu tun hat. Aber weil sie als Darstellung mit Bedeutung zu tun hat, ist sie immer auch Philosophie.“ Fritz v. Klinggräff
Ringvorlesung Literarische Philosophie – philosophische Literatur. Jeden Dienstagabend, 18.30 Uhr, im Hörsaal 2 der Rostlaube
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