: In Mitteleuropa gibt es 8.000 Käferarten aus 100 Familien. Am Kaiserstuhl genügt einer, um panikartige Szenarien auszulösen. Der Maikäfer ist da. Besatzstärke: bis zu 70 Exemplare je Quadratmeter. Bauern und Winzer wollen die Invasion mit G
In Mitteleuropa gibt es 8.000 Käferarten aus 100 Familien. Am Kaiserstuhl genügt einer, um panikartige Szenarien auszulösen. Der Maikäfer ist da. Besatzstärke: bis zu 70 Exemplare je Quadratmeter. Bauern und Winzer wollen die Invasion mit Gift stoppen. Wir dagegen empfehlen: Maikäfersüppchen mit geröstetem Weißbrot und Spätlese.
Maikäfer, flieg!
Noch sind ja nicht viele da. Aber das findet Anton Schott keineswegs beruhigend. „Ein, zwei wärmere Tage“, prophezeit der Winzer, „und die kleinen Biester schlüpfen aus der Erde.“ „Ratz- fatz“ geht das vonstatten, und dann tritt ein, was Anton Schott nur noch „die Invasion“ nennt. Millionenfach, „ach was“, verbessert er sich, „milliardenfach!“ werden die kleinen braunen Käfer in die Wälder ziehen, es sich in den Reben gemütlich machen und den ganzen Obstbäumen die jungen Blätter abfressen. Werden wie schwarze Trauben an den Zweigen hängen und mit ihrem monotonen Summen die Ruhe stören. Anton Schott schaut ungern in die Zukunft in diesen Tagen. „Ich sage Ihnen eines klipp und klar: Mit offenem Mund können sie dann nicht mehr spazierengehen.“
Im Kaiserstuhl bei Freiburg, wo Anton Schott Winzer, Obstbauer und Baumschulenbesitzer ist, erwartet man auf einer Fläche von 2.000 Hektar, zur Hälfte für Wein- und Obstanbau kultiviert, zur Hälfte Wald, eine Maikäferplage biblischen Ausmaßes. Alle drei Jahre ist Maikäferjahr, und dieses ist ein besonderes. Hinzu kommt, daß die Population der Maikäfer auf rätselhafte Weise alle dreißig bis vierzig Jahre sprunghaft ansteigt – im Kaiserstuhl zum letztenmal 1961. Bis zu 70 Engerlinge (Maikäferlarven) pro Quadratmeter hat die Landesanstalt für Pflanzenschutz bei Grabungen gezählt – bereits drei Engerlinge sei eine „bedenkliche Zahl“, sagt Volker Jörger, Weinbaureferent des Regierungspräsidiums Freiburg. 200.000 Käfer auf einem Fußballfeld, rechnet er vor, „das muß man sich mal vorstellen!“.
Anton Schott will sich das zwar lieber nicht vorstellen. Aber der große, stämmige Familienvater kann sich ziemlich genau ausmalen, was auf ihn zukommt: Nach dem letzten großen Maikäferflug 1994 stellte er fest, daß die Engerlinge bei 80 Prozent seiner Bäume die Wurzeln aufgefressen hatten. Den Schaden beziffert er auf 170.000 Mark. „Da soll noch einer kommen und sagen, es gebe keine Maikäfer mehr.“
„Mission Maikäfer“: Netze, Pilze, Pestizide
Doch Anton Schott ist wehrhaft. Er hat sich fest vorgenommen, dem fortpflanzungsfreudigen Insekt den Kampf anzusagen. Und deswegen hat der Winzer zum Beispiel nach einem Dorffest die „Arbeitsgemeinschaft Maikäfer- und Engerlingplage am Kaiserstuhl“ gegründet, „um den schlafenden Behördenapparat mal aufzurütteln“. 600 aufgebrachte Winzer schlossen sich Anton Schott an und schrieben daraufhin fleißig Briefe an Ämter und Ministerien. Im Dezember letzten Jahres tagte erstmals die „Maikäferrunde“ – eine Kommission von Experten, Behördenvertretern und Winzern. Die lud Maikäferexperten, sogar aus Südtirol, ein und tüftelte in mehreren Sitzungen einen Plan aus, um dem Gemeinen Melolontha zu Leibe zu rücken.
Die Strategie: engmaschige Netze auslegen, damit die weiblichen Maikäfer keine Eier mehr in die Erde legen können, außerdem den Beauveriapilz einsetzen, einen der wenigen natürlichen Feinde des Engerlings, und drittens beschloß sie, daß neben Maikäfern auch Hubschrauber über den Kaiserstuhl fliegen sollen, um mit dem Insektizid Rubitox dem Käfer partiell ein für allemal den Garaus zu bereiten.
Mit Punkt drei der „Mission Maikäfer“ schuf die Runde allerdings ein neues Problem. Hubschraubereinsatz? Mit chemischen Mitteln? Nicht mit uns, sagten die zwanzig Biobauern des Kaiserstuhls, firmierten sich zur „Interessengemeinschaft Biobauern und Biowinzer des Kaiserstuhls“ und verfaßten eine Resolution an das Landwirtschaftsministerium. Seitdem streitet man sich in den Dörfen zwischen Freiburg und Rhein. Hier, im sonnigsten Gebiet Deutschlands, wo die badische Weinkönigin ihre Heimat hat und die Pensionen am Ort „Zur Reblaus“ heißen, würde schließlich die Einkommensgrundlage von drei Viertel der Bevölkerung vom gefräßigen Käfer geschädigt, schätzt Volker Jörger. „Das hier ist ein ländliches Gebiet mit einer eher traditionellen Mentalität. Viele können nicht verstehen, was gegen so ein scheinbar einfaches und schnelles Mittel einzuwenden wäre“, urteilt er über die Forderung nach der chemischen Keule gegen die Maikäfer. Über die Anfeindungen, die er immer mehr zu spüren bekommt, will er nicht groß reden, sagt Bernd Sacherer, ein Biowinzer. Aber worüber er sich richtig aufregen kann, ist diese „Denkart“, die langfristigen, erheblichen Folgen nicht zu berücksichtigen.
Die kurzfristige Folge für sich hat Bernd Sacherer ziemlich klar vor Augen: „Wenn die abspritzen, was sie alles abspritzen wollen, dann bin ich bankrott. Dann wird mir mein Zertifikat als Biobauer aberkannt, so einfach ist das.“ Der Mittdreißiger steht im kühlen Weinkeller eines Kollegen, nippt an einem Glas Grauburgunder, der hier an den Hängen so gut wächst, und sagt: „Das kostet Nerven, das können Sie mir glauben.“
Etwas Ähnliches hatte Anton Schott vor ein paar Stunden auch gesagt. Er hatte von einem Baum in den Weinbergen die ersten Maikäfer geschüttelt. Wie Bonbons prasselten sie auf die Straße. Der Winzer klaubte vier Käfer auf, legte sie in seine Hand und schaute versonnen auf die rotbraunen Chininkörper. „Wunderschöne Tiere sind das, eigentlich.“ Dann schüttelte er sie abrupt ab, machte eine wegwerfende Bewegung und sagte: „Aber das ist eine Existenzfrage!“ Mareen Linnartz
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