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Golf und Minigolf: Tausendundein Trend

Sportstadt Berlin (8. und letzter Teil): Sportarten sind nur exotisch, wenn man sie nicht kennt. Daß in Berlin der Klettersport so beliebt ist, hängt wohl mit der Architektur der Stadt zusammen – überall Brandmauern  ■ Von Christine Berger

Ein sonniger Frühlingstag: Rund zwei Dutzend Jogger treten den Uferweg am Plötzensee platt, überholen Sonntagsfahrer auf dem Fahrrad und laufen kläffenden Kötern davon. Wer hier seine Runden dreht, den bringt in der Regel nichts mehr aus der Fassung. Doch plötzlich bekommen einige Sportler große Augen. Zwei Männer wackeln im Eilschritt des Wegs – zwei echte Walker. Staksend, so als hätten sie die Hosen voll oder zumindest ein dringendes Geschäft zu erledigen, laufen die zwei älteren Herrschaften, so schnell es geht.

Einer der Dauerläufer kann es nicht lassen. Was das denn für ein Sport sei und wie man um alles in der Welt auf die Idee kommen könne, so zu laufen, fragt er. Die beiden Männer geben freundlich Auskunft, ohne ihr Walkertempo zu drosseln. Sie erklären worauf es ankommt: „Die Füße müssen immer Bodenkontakt haben, das ist das Wichtigste.“ Ansonsten könne jeder diesen Sport nach Belieben schnell ausüben. Ob der Sport exotisch sei? „Überhaupt nicht“, finden die Geher. Exotisch höchstens für die, die sowas noch nie gesehen haben, und das würden von Tag zu Tag weniger.

Dennoch bleibt bei den Schaulustigen ein seltsames Gefühl zurück, als die Walker so schnell gehend hinter dem Wildschweingehege verschwinden. Ein Ausdauersport ist Walking, keine Frage und wegen seines Tempos besonders für ältere Leute gut geeignet. Aber kann man da nicht lieber gleich wandern gehen?

Die Frage nach dem Warum sollte man sich im Sport lieber nicht stellen. Daß Menschen auf einem Einrad fahren, ist schließlich auch nicht besonders praktisch. Dennoch lieben viele das akrobatische Rumeiern. Die Kurse von Andreas Wolff, der sich auch Eywie nennt, finden jedenfalls genügend Interessierte. Eywie selber turnt seit knapp zehn Jahren auf dem Einrad herum und beherrscht atemberaubende Kunststücke. Unermüdlich kämpfen die Anfänger in seinen Kursen mit der Schwerkraft. Manche bekommen den Einradtip von ihrem Orthopäden. „Du mußt beim Fahren sehr aufrecht und trotzdem entspannt sitzen“, weiß Charlotte B., die regelmäßig ihre Runden im Tiergarten dreht. Seit sie vor drei Jahren unter die Einradfahrer gegangen ist, haben sich ihre Arzttermine drastisch reduziert. Daß ihr Gefährt Aufsehen erregt, empfindet sie nicht als negativ. „So bekommt man Kontakt zu wildfremden Leuten. Das ist, also ob du einen seltenen Hund hast.“

Auffallen ist nicht immer ein Anreiz dafür, eine besondere Sportart auszuüben. Gerade bei Disziplinen wie American Football oder Cheerleading sind es persönliche Kontakte, die Sportler zusammenbringen. Ehemals von den US-Soldaten nach Berlin gebracht, sind die amerikanischen Sportarten nach wie vor Renner, und das nicht nur just for fun: Entgegen aller Klischees kommt es beim Cheerleading nicht bloß darauf an, nett zu singen und liebreizend die Football-Mannschaft heiß zu machen. Tänze und Akrobatik verlangen ein Höchstmaß an Muskelbeherrschung, weshalb es – wie bei jeder anderen Sportart auch – gern ums Kräftemessen geht. So heimsten unter anderem die Cheerleader-Damen der „Spandau Bulldogs“ schon diverse Pokale ein und wurden im letzten Jahr Deutsche Meister. Insgesamt tummeln sich elf Vereine in der Stadt, in denen Frauen mit Puscheln und Akrobatik sportliche Glanzleistungen hinlegen.

Auch Base- und Softball sind eigentlich nur für Außenstehende exotisch. Diese gleichermaßen amerikanischen Schlagspiele sind in Berlin so beliebt, daß sie gleich 14 Vereine im Programm haben. Dabei ist die Rollenverteilung von vornherein festgelegt: Frauen spielen mit dem Softball, Männer schlagen härter drauflos. Nicht immer sind die Damen glücklich über die Rollenverteilung, weshalb es bei den Destroyers auch ein Frauen-Baseball-Team gibt.

Daß sich die Berliner gern gegenseitig aufs Dach steigen, wenn ihnen irgend etwas nicht paßt, ist nichts Besonderes. Weshalb ihnen das aber nicht reicht und deshalb extra Klettertürme aufgestellt werden müssen, läßt einigen Raum für Vermutungen. Ob die eingewanderten Bayern dran schuld sind oder die Schweizer? Fakt ist, daß die hiesige Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) rund 8.000 Mitglieder hat. Natürlich sehen nicht alle in Wänden eine Herausforderung, aber dennoch sind die Kletterkurse des DAV derzeit restlos ausgebucht.

Besonders Freeclimbing steht hoch im Kurs. Das Klettern ohne Seil ist in Berlin gleich an mehreren Stellen möglich, theoretisch an jeder Brandmauer. Doch davor sei gewarnt: Erst neulich mußte Übungsleiterin Alix Kukola mit ansehen, wie ein junger Hecht ohne Vorkenntnisse und nur in Turnschuhen den zwölf Meter hohen Kletterturm im Grunewald in Angriff nahm. Kurz bevor er oben ankam, ging's im freien Fall wieder nach unten. „Der hat viel Glück gehabt und sich nur den Knöchel zersplittert“, erzählt die 27jährige Kursleiterin. Sie selbst hat ihre ersten vertikalen Gehversuche im Frankenjura gamacht, wo sie auch herkommt.

Mit den künstlichen Klettervorrichtungen wie dem Turm im Grunewald oder der Bunkerwand im Humboldthain ist sie als Bergbesteigerin auf Dauer nicht zufrieden. „Wenn man das Klettern in der freien Natur gelernt hat, ist das ein dürftiger Ersatz“, ist sie der Meinung.

Die Berliner scheinen das anders zu sehen. Gerade unter jungen Leuten ist das Klettern in der Stadt angesagt. Jugendclubs wie das Zentrum „Bullinger“ in Treptow haben sogar eigene Türme und bieten Kurse an. Die Pädagogen des Bullinger veranstalten außerdem jedes Jahr im Juni einen Klettercup, zu dem Freeclimber aus ganz Deutschland anreisen. Ganz billig ist das Kraxeln zwischen den Häusern nicht. Spezialschuhe, Seil, Gurt und Karabiner kosten rund 800 Mark. Unbezahlbar ist dagegen der Partner, den man am Seil immer braucht, um auf Nummer Sicher zu gehen.

Was man sonst noch alles mit Schnüren machen kann, außer sich daran abzuseilen, zeigen im besten Fall die Freunde des Casting- Sports, auch Fliegenfischen genannt. Aus Frust über das Wettangelverbot, das seit einigen Jahren herrscht, haben sich etliche Vereine einem merkwürdigen Habitus verschrieben. Sie messen ihre Kräfte daran, wer den Köder – eine künstliche Fliege oder etwas ähnliches – am weitesten und genauesten auswerfen kann. Daß das die Jugend nicht unbedingt vom Hocker haut, bereitet den Vereinen Nachwuchssorgen. Die Fische haben dennoch keinen Grund zum Lachen, ist doch der Angelsport auch ohne Wettfischen so weit verbreitet, daß viele Artgenossen ihre letzte Ruhe in einer Bratpfanne finden.

Ungewöhnlich ist auch so manch anderes Treiben in der Stadt. Da wird zum einen im Sommer tonnenweise Sand auf den Schloßplatz geschüttet, damit Volleyballer Strandgefühle bekommen und Tuniere im Beachvolleyball ausfechten können. Zum anderen fliegen zwischen U-Bahnhof Schwarzkopfstraße und Zinnowitzer Straße ganzjährig Golfbälle durch die Gegend, weil einige Menschen der Meinung sind, daß Golf ein Volkssport werden soll. Zum Beispiel der Volx Golf Club Berlin. Die erste Tat der Mitglieder war vor zwei Jahren das Rasenmähen auf dem ehemaligen Gelände des Stadion der Weltjugends. Danach begannen die Volxgolfer nach Lust und Laune zu putten.

Doch der Verein hatte die Rechnung ohne die Konkurrenz gemacht. Der Golfclub Schloß Wilkenberg e. V. witterte im vergangenen Jahr eine billige Möglichkeit, Mitglieder zu werben und eröffnete in Absprache mit der Sportarbeitsgemeinschaft Mitte auf dem gleichen Gelände einen öffentlichen Golfplatz. Für ein geringes Entgelt kann sich seitdem jeder Schläger und Bälle leihen und auf Wunsch auch Kurse besuchen. Besonders jüngere Kids schlagen nun am Nachmittag nach den kleinen weißen Bällen. „Weils Spaß macht“, sagt der 13jährige Mark. Er kommt fast jeden Tag zum Platz. Ein Freund von ihm war auch schon mal putten, fand den Sport dann aber doch zu öde. „Ich mag alles, wo man sich konzentrieren muß“, meint der Schüler, zu dem das sportliche Outfit, das sonst jeder in seinem Alter auf der Straße zur Schau trägt, ausnahmsweise mal paßt. Wie er Minigolf findet? „Blöd!“

Bei soviel Ignoranz können die Minigolfer in den elf Berliner Vereinen nur wütend werden. Für sie ist das kleine aber feine Putten auf Beton ein ehrenhafter Sport, der sogar auf Bundesligaebene gespielt wird. Bei Turnieren kommen die Teams aus ganz Deutschland angereist, um die Bälle an Blumentöpfen und Miniaturburgen ins Loch zu kugeln. Hinterher wird der Sieg ordentlich gefeiert und über die richtige Ballführung gefachsimpelt. Wenn das nicht exotisch ist.

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