: „Jagt sie mit Gelächter aus der Stadt“
Am 1. Mai will die NPD in Leipzig zum „Tag der nationalen Arbeit“ aufmarschieren. Die Leipziger sollen sich nun ihrer Traditionen aus Zeiten der Bürgerbewegung erinnern und ihre Stadt besetzen ■ Aus Leipzig Andrea Böhm
Volk. Das Volk. Ein Volk.
Edda Möller und Dietmar Scholz sind ein eingespieltes Team. Er weiß meistens, wohin sie ihre Schachtel mit den „Kim“-Zigaretten verlegt hat – und wenn nicht, gibt's eine aus seinem unerschöpflichen „f 6“-Vorrat. Er schmiert den Leim an die Zäune und Mauern, sie klatscht die Plakate dran. „Düafn wia hia klebn?“ fragt sie mit ihrem Ruhrpottslang. „Ja, hier darf ma glääben“, antwortet er sehr sächsisch und bürstet noch mal drüber.
Edda Möller war 20 Jahre Programmiererin bei Thyssen in Duisburg, Dietmar Scholz bis zur Wende Schlosser bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. Jetzt stehen beide in den Diensten des DGB in Sachsen und sind stinksauer auf Oskar. Denn der Bundesvorsitzende der SPD hat nichts Besseres zu tun, als am 1. Mai um 10.45 Uhr zu einem Frühschoppen in Leipzigs Plattenbauviertel Grünau einzuladen. Genau dann, wenn das Gespann Möller/Scholz mit der Gewerkschaftsspitze, dem Bürgermeister der Stadt, dem Landesbischof, dem Schriftsteller Erich Loest, der Popgruppe Die Prinzen und – hoffentlich – ein paar tausend anderen LeipzigerInnen eine Menschenkette um den Innenstadtring bilden will.
„Um die Stadt vor den rechten Rattenfängern zu schützen“, sagt Edda Möller.
„Wir lassen uns doch den 1. Mai nich' wegnehmen.“ Es soll eine symbolische, aber deutliche Aktion werden gegen den Aufmarsch der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“, die am selben Tag Leipzig für ihren „Tag des nationalen Widerstandes und der nationalen Arbeit“, gegen „das Kapital und das System“, auserkoren haben. „Tragt die Wut auf die Straße“ und „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ heißen die Parolen, die man dieser Tage in Leipziger Straßenbahnen, in Wartehäuschen, an Bauzäunen und im Internet finden kann. „In Anknüpfung an die Montagsdemonstrationen der Leipziger“, heißt es dazu aus der Bundesgeschäftsstelle der NPD. Das, so schreibt Erich Loest, der Schriftsteller dieser Stadt, in einem offenen Brief an seine Mitbürger, könnten die Leipziger nicht auf sich sitzen lassen. „Der 1. Mai 1997 ist nicht wie jeder andere. Im Herbst 1989 schaute die Welt auf diese Stadt. Wir haben eine Tradition zu verteidigen. Die Leipziger werden es tun, sicher in ihrem demokratischen Gefühl und ihrer Würde... Treiben wir sie mit einem gewaltigen Gelächter aus Leipzig hinaus.“ Damit möglichst viele Traditionsbewußte am 1. Mai in die Innenstadt kommen, legen Edda Möller, die DGB-Vorsitzende in Leipzig, und Dietmar Scholz in ihrem Kleinbus weite Wege zurück, um die leuchtend orangenen Plakate zu kleben, auf denen zu lesen ist: „1. Mai 1997. Leipig. Courage zeigen. Aufrecht gehen. Nicht im Gleichschritt marschieren.“
Von Grünau über die Dörfer bis Schkeuditz entlang des Gürtels der Einkaufszentren und Wohnparks, die in den letzten Jahren ganz nach US-amerikanischem Vorbild um Leipzig herum wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Dietmar Scholz klemmt Flugblätter an die Frontscheiben der parkenden Autos und macht zwischendurch seiner latenten Bitterkeit Luft. Ein politisches Wunder hatten sie vollbracht, damals im Herbst 1989. Und was wollte das Volk am Ende? „Westgeld, ein neues Auto und Reisen.“
Als mobiles Ein-Mann-Team für Informationskampagnen des DGB bekommt er so einiges mit, was nicht so recht zum „demokratischen Gefühl“ und zur Würde von 1989 passen will. Eine Menge verängstigter Arbeitnehmer trifft er da, die sich bei einer Arbeitslosenrate von 16,4 Prozent in Leipzig glücklich schätzen, einen Niedriglohnjob zu flexiblen Arbeitszeiten bekommen zu haben und im übrigen der festen Meinung sind, „daß ein Betriebsrat vom Arbeitgeber eingesetzt wird“. Eine Menge wütender Arbeitnehmer trifft er – zum Beispiel auf Sachsens unzähligen Baustellen, wo am Klohäuschen schon mal das Schild „Nur für Deutsche“ hängt. Da, sagt er, gäbe es schon was zu holen für diese „rechten Rattenfänger“. Zumal, wie das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz feststellt, die NPD mangels nennenswerter Aktivitäten der „Republikaner“ oder der DVU in Sachsen und Leipzig eine „Führungsfunktion im rechten Lager“ einnehme und mit antikapitalistischen Parolen erfolgreich Mitgliederwerbung betreibe.
Volk. Völker. Völkerschlachtdenkmal.
Sven Kühnast hebt die Hand, preßt Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen und gibt das Zeichen zum Einsatz. Aus ein paar Dutzend Frauen- und Männerkehlen ertönt „Fährt mein Schatz das Tal entlang“. Die letzte Note läßt der junge Dirigent besonders lange halten – und das Publikum lauscht andächtig dem Hall, der gar nicht enden will. „Die Akustik hier hat schon einen besonderen Reiz“, sagt der 26jährige Musikstudent mit Wuschelkopf und Nickelbrille. Die Akustik muß man mögen – und irgendwie auch das Völkerschlachtdenkmal. Sonst würden sich nicht alle paar Wochen ein paar hundert Zuhörer in das Innere dieser eiskalten Gruft begeben, um dem „Chor des Völkerschlachtdenkmals“ zu lauschen. Was von weitem aussieht wie ein Inkatempel, soll an den Sieg der antifranzösischen Koalition zwischen Rußland, Preußen, Österreich und Schweden über die Armee Napoleons in der Völkerschlacht von 1813 erinnern, und gilt in Leipzig als Touristenattraktion und Ausflugsort. „Da soll keiner sagen: häßlich, protzig, gigantomanisch“, sagte einst Erich Loest, da stehe schließlich „ein Stück deutscher Geschichte“. Bloß fällt einem beim Anblick des Monuments unwillkürlich genau das ein: häßlich, protzig, gigantomanisch. Und ein Stück deutscher Geschichte. Ein schwarzes Ungetüm mit riesigen Totenmasken und Kriegerskulpturen, die eine Arno- Breker-Figur fragil wirken lassen.
„Nobody Knows The Trouble I've Seen“, hallt es aus dem Inneren empor. Nein, die Stärkung nationalen Selbstbewußtseins sei seine Aufgabe nicht, sagt Kühnast, der die Leitung des Laienchores vor vier Jahren übernahm. Mit einem internationalen Repertoire aus Volksliedern und Spirituals versucht er, das Image auszuräumen, das viele mit dem Namen seines Ensembles verbinden. Vor ein paar Jahren gab er mit einem Chor eine Vorstellung für Veteranen der US-Armee, die sich im Zweiten Weltkrieg um und im Denkmal Schlachten mit den letzten Kämpfern des Tausendjährigen Reiches geliefert hatten. Spirituals habe man für die Amerikaner gesungen. „Und die waren ganz hin und weg.“
Hier wollen sie nun am 1. Mai den rechten Arm zum Gruß erheben. Daß sich NPD und „Junge Nationaldemokraten“ diesen Versammlungsort ausgesucht haben, kann nicht mal jene überraschen, die das Völkerschlachtdenkmal nicht für gigantomanisch halten. Hier fand 1925 der „Erste Deutsche Reichskriegertag“ statt, 1933 das Sachsentreffen der NSDAP mit Hitler, Himmler und Röhm. 1943 ehrte hier Gauleiter Martin Mutschmann die Toten des alliierten Luftangriffs auf Leipzig am 4. Dezember und beschwor den Endsieg. „Aus dem Denkmal der Wiedergeburt der deutschen Nation“, heißt es im Text der ständigen Ausstellung, „wurde ein Todesmal – eine Grabstätte des deutschen Volkes.“
Der Chor stimmt sein nächstes Spiritual an: „When Israel Was In Egyptsland.“
Volk. Völle. Völleverständigung. Völkerverständigung.
Es klingt ein bißchen umständlich. Nach alten Zeiten und verordneten Begegnungsritualen. Weshalb das Jugendzentrum „Völkerverständigung“ in Grünau einfach „Café Völle“ heißt. Um das „Völle“ herum, auf der unerschöpflichen Fläche von Leipzigs größter Plattenbausiedlung, versteht sich das Volk nicht gerade. Aber es tauscht sich aus. „Nationalsozialisten in den Bundestag“, steht an der Wand gegenüber. „Laßt die braune Scheiße nicht weiter stinken“, genau darunter. Daneben werben ein „Deutscher Jugendbund“ für die Todesstrafe gegen Drogenhändler und Kinderschänder, und die „Leipzig Lions“ für ihr Footballspiel gegen die „Bamberg Bears“. Dazwischen kunstvolle Tags, schlichte Liebeserklärungen und die Aufforderung „RAFft Euch endlich auf“. Für viele dieser Graffiti-Aktivisten ist das „Völle“ mit seinem Freizeitangebot zuständig. Vor ein paar Jahren wäre es im Zuge von Einsparungen beinahe zugemacht worden, hätte nicht Musi-Wessi Herbert Grönemeyer dem Jugendzentrum und der Stadt unter die Arme gegriffen. Jetzt nutzen hier weiter rechte wie linke Jugendliche die Einrichtung. Und zwar friedlich, wie die Leiterin betont. Über den 1. Mai und die ganzen Spekulationen um Randale und Gewalt will sie deshalb gar nicht so viel reden. Am 1. Mai ist das „Völle“ jedenfalls zu. Wie auch diverse Kneipen in der Leipziger Innenstadt. Der DGB hat sich mit den Autonomen und der Antifa wie üblich über die Gewaltfrage zerstritten. Letztere wollen die Nazikundgebung nicht nur mit einem Kultur- und Politprogramm am Sachsenplatz in der Innenstadt kontern, sondern am Ort des Geschehens, dem Völkerschlachtdenkmal, verhindern. Der DGB rechnet mit 40.000 Teilnehmern für seine Abschlußkundgebung, auf der nach getanem Frühschoppen auch Oskar Lafontaine sprechen wird. Die Autonomen und Antifas mit mehreren Bussen, die Nazis mit 10.000 Marschierern. Polizei und Bundesgrenzschutz kündigen den Einsatz von 3.400 Beamten an. Die wiederum reichen nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Bautzen aus, um Ruhe und Ordnung bei der NPD- Kundgebung zu gewährleisten, weswegen es das Demonstrationsverbot der Stadt Leipzig am Montag aufhob. Die Nachricht wurde im „Conne Island“, dem Treffpunkt der Autonomen und Antifas, nicht eben mit Bestürzung aufgenommen. Deren Vorbereitung sollte ja nicht umsonst gewesen sein.
Volk. Ein Volk. Das Volk. Volksbefreiung.
Auch die zairische Gemeinde Sachsens hatte einen „großen Marsch“ angekündigt. Aber aus der machtvollen Kundgebung zur Volksbefreiung ist eher die Ansammlung eines kleinen Völkchens vor dem Leipziger Hauptbahnhof geworden. Rund zwanzig Zairer, die meisten Asylsuchende, skandieren Parolen auf französisch, fordern den Sturz des Diktators Mobutu und die Unterstützung der Bundesregierung für den „Volksbefreier“ Laurent Kabila. Sie haben von der geplanten Nazidemo am 1. Mai gehört und sind entsprechend nervös. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder überhaupt der Straßen Leipzigs kann an solchen Tagen besonders gefährlich sein. Auf die DGB- Demonstration zum 1. Mai gehen sie nicht. „Das ist nur für Arbeiter“, sagt einer spitzfindig. „Wir haben doch keine Arbeit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen