: „Der Hahn ist ein Angeber!“
Biounterricht life: Im Zentrum für Schulbiologie streckt die Schlange Kah sechsjährigen Erstklässlern schamlos die Zunge raus ■ Von Heike Haarhoff
Jasmin hat „das Kribbeln im Bauch“. Gunnar hört „ein Flugzeug, das losfliegt“. Maria sagt gar nichts und kneift die Augen bloß fester zu, als Eckard Reinke-Nobbe vor ihr steht und den dröhnenden chinesischen Gong schlägt. „So“, sagt der Biologie-Lehrer, „jetzt wieder Augen auf.“Mehr als 20 ErstklässlerInnen im Kreis blicken ihn an. Was will der Typ bloß?
Ihre Grundschule Wesperloh in Hamburg-Osdorf haben die Sechsjährigen und ihre Lehrerinnen an diesem Mittwoch vormittag „geschwänzt“, um hier in Klein-Flottbek, im Zentrum für Schulbiologie und Umwelterziehung (ZSU), „Natur zu erfahren, Umwelt zu bewahren“, und zwar „vor Ort“, wie der Prospekt der Schulbehörde verspricht. Hühner wollen sie füttern, Meerschweinchen streicheln, im Tümpel nebenan vielleicht Kaulquappen fangen. Doch Eckard Reinke-Nobbe dröhnt ihre Ohren mit dem Gong voll. Was das mit Tieren zu tun hat? Richtig, „das ist so, als wenn wir laut reden, dann erschrecken sich die Tiere ja auch“, weiß ein kleiner Blonder.
Beim Hühnergehege im zentrumseigenen Schulgarten spätestens ist der gute Vorsatz vergessen. Gerangel am Zaun. Wer traut sich, dem spitzschnabeligen Federvieh die Körner auf der flachen Hand durchs Gitter zu reichen? „Ich, ich, ich!!“Ein Hahn kräht. „Psst“, macht die Lehrerin. „Das kiihiihitzelt“, quiekt einer, als ihm das Huhn das Getreide sanft aus der Hand pickt. „Da ist ja ein Stein im Futter“, ruft ein anderer.
Muß er auch. Denn Hühner haben keine Zähne. Aber spätestens im Magen muß das Futter geknetet und zerrieben werden, um verdaut werden zu können. „Daher die Steine“, erklärt Lehrer Reinke-Nobbe. Und noch was brauchen die Glucken; „einen Stoff, den wir auch in unseren Zähnen haben“. „Fleisch?“Nein, Kalk natürlich. Aha. Bei Sergej klickert's: „Dann wird nämlich der Schnabel spitz“, glaubt er. Oder doch nur die Eierschale?
Überhaupt wissen die Erstklässler über alle wichtigen Fragen des Lebens Bescheid. Der Unterschied zwischen Henne und Hahn? „Der Hahn gibt an.“Warum tauschen Bauern, die keinen Hahn haben, gern ein paar ihrer Eier gegen Eier von Bauern mit Hahn? „Weil sie Spiegeleier braten wollen.“
Mit großem Hallo werden Ratten, Rennmäuse und Zwergkaninchen in der Tierstation begrüßt. Gemach, gemach, warnt Ratte Bruno. Der schwarz-weiße Nager mit den langen Zähnen will die vier Dutzend Hände, die bedrohlich wie Adler über ihm schweben, erstmal „über die Nase kennenlernen“. Daher krabbelt das handzahme Viech gern durch Pullis und Kragen. „Draußen“, lehrt Biolehrer Reinke-Nobbe, „dürft ihr Ratten aber nicht anfassen“. Klar. Die Langschwänze der Wildnis sind bissig. Und anders aussehen tun sie auch. Genau wie die winzigen Ziermäuse mit ihrem braun-weißen Ausgeh-Fell, mit dem sie in der Natur niemals was werden könnten: Mausgrau trägt, wer getarnt sein will.
„Hier bei uns lernen die Kleinen erstmal den Umgang mit Tieren“, erzählt Reinke-Nobbe. Zum Beispiel den mit Gespenstschrecken, riesigen Heuschrecken, die sich benehmen wie Stöcke und den ganzen Tag faul am Ast baumeln. Bis sie „nachts, wenn keiner guckt“, ihrer Freßsucht erliegen und Wälder entlauben.
Zu erkunden gilt es auch die Gewohnheit der Rotschwanzboa Kah, die weder giftig noch bissig ist, sich anfühlt wie eine Handtasche und sich gern in Schleifen um Äste räkelt und Kaninchen auflauert. Deshalb müssen sich alle, auch Sergej, die rattenliebkosten Hände vorher desinfizieren, bevor sie sich – in Zweierreihen gegenüber aufgestellt – die Boa reichen und so eine Brücke für das kiloschwere Kriechtier bilden. Ohne diese Brücke würde die Boa die Kinderhände vielleicht doch mit einem schmackhaften Nager verwechseln und sie beherzt verschlingen. „Ihr seid jetzt der Fußboden für die Schlange“, sagt Eckard Reinke-Nobbe, als das Tier sich meterlang über die Kinderhände zurück in den Käfig schiebt.
Verantwortungsbewußt und artgerecht mit Tieren umgehen – das pädagogische Ziel ist erreicht. Nur warum die Schlange ständig allen schamlos die Zunge rausstreckt, das errät keiner. „Die Riechorgane“, lehrt der Biologe, „liegen bei Schlangen unter dem Gaumen.“Allerorten prüfende Zungenschläge. Bei Menschen offensichtlich nicht. „Um also zu riechen, müssen sich die Schlangen erstmal Luft mit der Zunge zufächeln.“Mit dem Wissen werden sie zu Hause ihre Eltern in den Schatten stellen.
Einfacher ist das Ratespiel zum Abschluß des „Biounterrichts am Objekt“nach zwei munteren Stunden: Es gilt, ein Tier zu erraten, „das was mit Mäusen zu tun hat.“Ausschließlich über Ja-Nein-Fragen. Was soll man da fragen? „Naja, Eigenschaften zum Beispiel“, sagt Reinke-Nobbe. Sie nehmen ihn beim Wort: „Hat das Tier Eigenschaften?“Manchmal sind Sechsjährige zum Knutschen.
Die Wißbegierde kennt keine Grenzen: „Hat es einen Beruf?“Eckard Reinke-Nobbe hilft mit dem einen oder anderen Tip nach, dann ist klar: Es ist das Frettchen Paul, ein handzahmer Iltis, der gern Mäuse jagt. Und nach einigem Betatschen dann doch ganz froh ist, daß die Kinder jetzt Schulschluß haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen