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Wenn Affen zu sehr lieben

Herrn Høegs feines Gespür fürs Tier: „Die Frau und der Affe“ ist ein spannender Tierschutzkrimi – sodomistisches Kabinettstückchen und philosophische Parabel über die labile Grenze zwischen Mensch und Tier  ■ Von Ulrike Baureithel

Primaten, so behauptete vor einigen Jahren die amerikanische Wissenschaftskritikerin Donna Haraway, seien privilegierte Forschungsobjekte, um den unmarkierten menschlichen Ort in der Natur zu benennen und gleichermaßen die unmarkierte Natur der menschlichen Gesellschaft zu beschreiben.

Der Primatologie verdanken wir die exklusiven Mythen der menschlichen Ursprungsgeschichte. Die kooperierenden Lebensweisen der frühen Hominiden liefern zugleich die Modelle unserer eigenen Gesellschaftlichkeit.

Kein Wunder also, daß die wissenschaftliche Debatte über Affen, Menschenaffen und Menschen ein seit der Entstehung der modernen Biologie umstrittenes Feld konkurrierender Definitionsansprüche und Erzählfiguren ist: Wer und was definiert, was ein Mensch ist? Wo verläuft die anthropologische Grenze zwischen Mensch und Tier? Was bedeutet es, wenn organische Körper als Maschinenmodelle gedacht werden? Und last but not least: Welche lebensgefährlichen Folgen hat die (sprachliche) Grenzziehung für die definitorisch außerhalb der Ordnung stehenden Organismen?

Der neue Roman des dänischen Erfolgsautors Peter Høeg liest sich bisweilen wie eine fiktionale Adaption dieses Streits um die Natur der Primaten. Die phantastisch anmutende Erzählung von der Frau und dem Affen wird angetrieben von einem Regelverstoß wider die herrschende Ordnung, vom Aufstand der (tierisch) lebendigen Natur gegen menschlich-automatisches Denken. Ein zu Versuchszwecken nach England eingeschmuggelter Affe bricht aus seinem schwimmenden Käfig aus und irrt durch die Unendlichkeit Londons.

Indessen währt die Freiheit des Tieres, dem man den Namen Erasmus gibt, nicht lange. Es wird eingefangen und illegal in das Haus des Tierverhaltensforschers Adam Burden gebracht. Burdens obsessive Privatexperimente zielen auf die Dekodierung des Affengehirns, auf die Inbesitznahme und „Kartierung“ von dessen Bewußtsein. Sein respektloser, scientistischer Umgang mit dem Tier provoziert Burdens dänische Gattin, Madelene, die ihren gewaltsamen Anpassungsprozeß an die englische Oberschicht in hochprozentigem Vergessen ertränkt. Die alkoholabhängige Frau erkennt sich in der „geduldigen Machtlosigkeit“ des gequälten Tieres wieder und beschließt, es zu befreien.

Während Burden in wissenschaftlicher Hybris und der Gewißheit, „keine natürlichen Feinde zu haben“, seine grausamen Studien fortsetzt, bereitet Madelenes nüchtern-mutiges Alter ego aus Verantwortung und Mitleid die Flucht mit Erasmus vor. Aufgespalten in zwei Persönlichkeiten – in die bewußtlose, drogensüchtige Frau und in die skrupellose, mutige Priscilla von den Schlachthöfen, die vor Betrug und Erpressung nicht zurückschreckt – ist Madelene Burden das personifizierte Inkognito einer Gesellschaft der „Nicht-Selbste“, die ihre sozialen Konventionen an den Determinismus der Maschinenwelt ausliefert, „in der Menschen und Tiere nur Teile oder höchstens kleine selbständige Maschinen sind, [...] kleine perpetua mobilia des Todes“.

Doch was vordergründig als moralisch aufgerüsteter und spannend zu lesender Tierschutzkrimi daherkommt, ist gleichzeitig – und wie könnte es bei einem Produkt aus der Høeg-Fabrikation auch anders sein – eine philosophisch aufgepeppte Parabel über den Verlust des Außen, über den Abschied vom Paradies und seinen Ursprungsgeschichten.

Denn das „Prinzip Stadt, die Moderne, die Zivilisation an sich“ ist überall, „für den Affen gab es kein Draußen mehr“. Selbst dort, wo dieses Prinzip scheinbar nicht herrscht, in einem nordenglischen Wildreservat, wohin Erasmus und Madelene sich zurückziehen, entlarvt sich das „Paradies“ als künstlich hergestelltes, als ein gigantisches „natürliches“ Versuchszentrum, aus dem die „unsentimentale Brutalität des Tierreichs“ eliminiert wurde.

In diesem Biotop entspinnt sich zwischen Madelene und Erasmus ein symbiotisches Verhältnis, in dessen Verlauf sich die beiden zunehmend einander angleichen: Der Affe „vermenschlicht“, und die Frau „vertiert“. Ihren Höhepunkt findet die Beziehung in Erasmus' Spracherwerb und dem wirkungsvoll inszenierten Liebesverhältnis der beiden. Man darf schon jetzt gespannt sein, welcher Regisseur sich an diesem sodomistischen Kabinettstückchen versucht.

Doch obwohl nun die starren anthropologischen Grenzen aufgelöst und verwischt scheinen und sich neue, chaotische Eventualitäten und Möglichkeiten auftun, trügt das Idyll. Die beiden Liebenden werden von den nagenden Fragen nach der Zeit und der Richtung der Liebe getrieben.

Der selbstvergessene Balanceakt auf „einem Seil, einem tight- rope, das zwischen der Zerstörungskraft der technologischen Zivilisation und dem ärgerlichen Mangel an Bequemlichkeit in der Natur gespannt war“, ist vorübergehender Natur, der paradiesische Zustand ist nur transitorisch. Madelene und Erasmus erkennen, daß selbst das Jetzt nicht ohne Schatten ist, daß sie ihre Verantwortung für „die Anderen“ in die Metropole zurücktreibt.

Dort kommt es anläßlich der Eröffnung eines neuen, „humanen“ Tierparks, durch den sich die scientific community von ihrer barbarischen Nachtseite zu entlasten sucht, zu einem öffentlichkeitswirksamen Coming out. Als Adam Burden mit Erasmus den sensationellen Prototyp eines frühen Hominiden vorstellen will, erweist sich der sprachbegabte Affe als entwicklungsgeschichtlicher Nachfahre der menschlichen Spezies: nicht identifizierbar und kontrollierbar, das Grauen schlechthin.

Doch die angstbesetzte Grenze, so will es das philosophische Drehbuch, verläuft nicht zwischen den Arten, zwischen innerem und äußerem Feind, zwischen dem Selbst und dem Anderen, sondern wird erzeugt durch das System selbst. Das bedrohliche Andere befindet sich in uns, in den markierten Körpern und dem „Körper“ der Gesellschaft. Erst von der Grenze her und bewehrt mit Masken gelingt der Blick auf das, was fehlt oder nicht sein soll: „Man kann stehenbleiben, ganz in der Nähe kann man stehenbleiben und doch unsichtbar sein. Weil man weiß, wo man stehen muß.“ Zurück bleibt eine aufgewühlte, von Gott und dem Affen gebissene Gesellschaft mit der beunruhigenden Frage, „wo in jedem von uns das aufhört, was ihr Mensch nennt, und das anfängt, was ihr Tier nennt“.

Man ist geneigt, Høegs Epopöe vom Affen und der Frau, die ausziehen, um die Freiheit zu suchen und sie am Ende nur bei sich selbst und in ihrer Liebe zum „Anderen“ finden, als wohltemperierten Sozialkitsch zu erledigen, der modische Wissenschaftskritik und Zukunftsangst zusammenspannt und in einem märchenhaften tableau vivant stillstellt. Dann wären die Frau und der Affe die guten Außenseiter und Opfer einer männlich-inhumanen Wissenschaftspraxis, die Retter der Utopie in einer Welt des fraglosen Einverständnisses. Und dahinter steht der allwissende Erzähler, der, wenn seine fraglos brillante Fabulierkunst ihn verläßt, auch schon mal die didaktischen Spruchbänder aufrollt.

An all dem ließe sich zu Recht das von Høeg so verpönte Seziermesser ansetzen, wäre da nicht diese wunderbar-spielerische Doppeldeutigkeit des Sujets. Denn zum guten Schluß wissen wir nicht nur nicht, wer da Mensch und Affe ist und welcher „Affe“ uns gebissen hat, als wir uns zum „Affen“ machten in einer Welt, in der das paradoxe „Affentheater“ zum Prinzip der Normalität erhoben ist. „Die Antwort“, so gibt es uns der Erzähler wie schon in seinen vorigen Romanen mit auf den Weg (und hier würde Donna Haraway fröhlich einstimmen), „hängt von dem Ort ab, von dem aus man fragt“: als inhumaner Mensch oder als menschlicher Affe.

Peter Høeg: „Die Frau und der Affe“. Roman. Aus dem Dänischen von Monika Wesemann. Hanser Verlag, München 1997, 288 Seiten, 39,80 DM

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