: Strieders Donquichotterie
■ taz-Serie "Brennpunkt Masterplan" (Teil 9): Wie realistisch ist das Ziel von SPD-Senator Peter Strieder, 60 Prozent Wohnen in der Innenstadt durchzusetzen?
Wenn Dorothee Dubrau, die ehemalige Baustadträtin von Berlin-Mitte, auf ihre frühere Tätigkeit angesprochen wird, hat sie immer eine Anekdote parat. Während einer Grundstücksverhandlung mit der Treuhand hatte sie gefordert, die Berliner Mitte nicht nur mit Büros vollzustopfen, sondern auch den Bau von Wohnungen anzukurbeln. „Die Treuhand- Manager haben daraufhin nur den Kopf geschüttelt“, erinnert sich Dubrau, „und wohl gedacht, daß die Weiber aus dem Osten spinnen.“
Heute lacht keiner mehr, wenn vom Wohnungsbau im Zentrum der Stadt die Rede ist. Im Gegenteil: In Anbetracht der gesichtslosen Bürowüsten in der Friedrichstraße und der hochgeklappten Bürgersteige nach Ladenschluß gilt insbesondere innerstädtisches Wohnen als Voraussetzung für ein Mindestmaß an Lebendigkeit. „Für ein urbanes Zentrum“, glaubt deshalb Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), sei es unerläßlich, den Wohnanteil zu stärken.
Nachhaltige Stadtentwicklung, Verdichtung, Innen- vor Außenentwicklung – lauten einige der Leitbilder, mit denen Peter Strieder seinen Masterplan in der Öffentlichkeit präsentiert. Der Bau neuer Wohnungen steht auf der Wunschliste des Senators dabei ganz oben. Für die im „Planwerk Innenstadt“ zu Wohnzwecken vorgesehenen Freiflächen rund um den Fernsehturm oder dem Friedrichswerder ist sogar ein Wohnanteil von 60 Prozent in der Planung vorgesehen. Gleichwohl – das weiß auch Urbanitätsfreund Peter Strieder – ist der Bau von Wohnungen in Toplagen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen noch immer eine städtebauliche Donquichotterie. Auch wenn die Büromieten nach jüngsten Erhebungen mittlerweile auf 30 bis 35 Mark pro Quadratmeter gesunken sind, liegen sie damit noch immer etwa 10 Mark über den derzeit erzielbaren Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau.
Dazu kommt, so Strieder, daß „sozial geförderter Wohnungsbau im großen Umfang der vergangenen Jahrzehnte vorerst nicht mehr finanzierbar ist“. Um dennoch innerstädtisches Wohnen zu realisieren ist es nach Ansicht des Stadtentwicklungssenators deshalb erforderlich, „die Bodenpolitik zu verändern, neue Wohn- und Eigentumsformen sowie neue Bauherrenmodelle zu fördern, mit denen Anreize für private, an kleinen und mittleren Baulosen interessierte Bauherren geschaffen werden“.
Kern dieser „neuen Typologien für innerstädtisches Wohnen und Arbeiten“ soll die Aktivierung, sprich der Verkauf innerstädtischer Grundstücke in kleinteiliger Parzellenstruktur sein, „die an die Stelle von großflächigen Ausweisungen monofunktionaler Strukturen tritt“.
Gerade aber die Gleichsetzung von Parzelle und größtmöglicher Nutzungsmischung ist es, die die Kritiker des Planwerks herausfordert. Die Neuauflage des Parzellenkonzepts, stellt etwa der Stadtplaner und Architektursoziologe Harald Bodenschatz fest, erfolge „ohne eine Verarbeitung der negativen Erfahrungen im Bereich der historischen City“.
Für den Wohnungsbau auf Marktwert verzichten
Insbesondere in der Friedrichstadt, lautet das Fazit der Kritiker, habe sich der Gedanke der Parzelle und die mit ihr verbundene Nutzungsmischung gegenüber den Verwertungsinteressen der Investoren nicht durchsetzen können.
Das weiß auch der Staatssekretär in der Stadtentwicklungsverwaltung, Hans Stimmann. Er ist einer der geistigen Väter der in der Friedrichstraße im Zusammenhang mit der „kritischen Rekonstruktion“ erprobten und gründlich mißlungenen Nutzungsmischung. Stimman plädiert deshalb für eine „Stadtentwicklung durch Stadtmanagement“. Das Engagement vieler Bauherren auf kleinen Grundstücken, meint Stimmann, erfordere eine „sorgfältige städtebauliche Kalkulation, um die privatwirtschaftliche Machbarkeit zu überprüfen“.
In einem weiteren Schritt sei deshalb die Einsetzung eines oder mehrerer treuhänderischer Entwicklungsträger erforderlich, „die als Koordinatoren die Umsetzung des Rahmenplans – die Schaffung von Planungsrecht, den Bau der Infrastruktur, die Vergabe der Grundstücke und so weiter – zu betreuen haben“. Dies alles, resümiert Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, funktioniert aber nur dann, wenn man zur Erreichung der städtebaulichen Zielsetzung „Wohnen in der Innenstadt“ die Grundstücke unter den Marktpreisen verkaufe. Uwe Rada
Zum Thema „Nutzer als Eigentümer – Neue Formen für innerstädtisches Wohnen und Arbeiten“ findet am 2. Juni um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung im Deutschen Architekturzentrum in der Köpenicker Straße 48/49 in Mitte statt
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