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Kulturkampf vor dem Kadi

■ Sexualkundeunterricht für Muslimin nicht zumutbar?

Der Konflikt war absehbar. Die Schulen sind es, die seit Jahren als Prüfstein für die Fragen herhalten: Wieviel Toleranz müssen wir fremden Religionen und Wertesystemen entgegenbringen? Und wieviel Anpassung müssen Einwanderer zu leisten bereit sein? Die Entscheidung ist eine Gratwanderung, die die Justiz seit Jahren beschäftigt. Berliner Verwaltungsrichter sprachen nun dem Antrag türkischer Eltern gute Chancen zu, die Tochter vom Sexualkundeunterricht in weiten Teilen zu befreien, weil Abbildungen von unbekleideten Menschen dem Mädchen nicht zumutbar seien. Was verdruckste christlich-fundamentalistische Eltern in den 70er Jahren – vergeblich – versuchten, erlebt nun unter dem Signum der Keuschheitsregeln des Korans eine Neuauflage: der Versuch, Sexualaufklärung – immerhin erste Voraussetzung für eine sexuelle Selbstbestimmung – als Teufelswerk aus den Schulen zu verbannen.

1993 hat das Bundesverwaltungsgericht die Grenzen der Toleranz sehr weit gezogen, als es urteilte, muslimische Mädchen dürften nicht zum gemeinsamen Sportunterricht mit Jungen gezwungen werden. Die Entscheidung war eine kluge Abwägung zwischen Respekt gegenüber anderen Religionen und sturen pädagogischen Prinzipien – und organisatorisch lösbar. Die Schulen mußten gemischtgeschlechtlichen Turnunterricht lediglich anbieten.

Beim Streit um den Sexualkundeunterricht geht es um die Infragestellung des Unterrichtsfaches selbst. Eine säkularisierte Gesellschaft kann es sich nicht leisten, sich pädagogische Inhalte diktieren oder gar verbieten zu lassen – egal von welcher Glaubensrichtung.

Bei dem Streit geht es auch nur vordergründig um die vermeintliche religiöse Unversehrtheit von Kindern. Muslimische Mädchen werden mehr und mehr für einen verlogenen Stellvertreterkampf gegen die westliche Kultur instrumentalisiert.

Kein türkischer Vater würde mit gerichtlichen Mitteln gegen die weibliche Fleischbeschau in Pornoblättern vorgehen, die – allen Suren des Korans zum Trotz – auch in muslimischen Kreisen reißenden Absatz finden. Und keiner käme auf die Idee, die eigenen Söhne einzusperren, weil sie sich auf dem Schulweg an den Zeitungskiosken mit den nackten Frauen die Nasen platt drücken. Vera Gaserow Bericht Seite 4

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