: Ich bin der Märchenprinz
Regierungserklärung: Wie Voscherau Hamburg wachküssen will und warum CDU und GAL ihm deshalb um den Hals fallen ■ Von Silke Mertins
Die geheime Kommando-Sache „Hafen-City“hat Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) gar nicht allein ausgeheckt. Vielmehr ist seine „Vision“, sein „großer Wurf“von der Stadt am Wasser, in Zwiesprache mit den Ahnen entstanden. Die Herren Bürgermeister Versmann, Mönckeberg und Sieveking flüsterten ihm in historischer Weitsichtigkeit ein, wie man es richtet, daß eine Straße nach einem benannt wird. Nachdem zunächst vor zwei Wochen der Übersee-Club und die Medienvertreter informiert wurden, wie das „große Zukunftsprojekt“aussehen soll, wurde gestern nun auch die Bürgerschaft in Kenntnis gesetzt.
„Regierungserklärung“nann-te Voscherau seine Rede vor dem Parlament bescheiden. Ein „Wagnis“sei es, Weichen für die Zukunft zu stellen, doch es geht um Höheres: „Sie schläft, meine Schöne“, zitiert Voscherau einen „berühmten Anonymus unter drei Sternen“. Und er, Voscherau, möchte sie, Hamburg, wachküssen. Nicht für sich, nein, für die kommende Generation, für die Größe und Zukunft der Hansestadt.
Die Genossen sind gerührt. Daß sie nicht gefragt wurden und erst nach dem noblen Übersee-Club von der Hafen-City erfuhren, verzeihen sie ihm gern. „Förmlich“, räumt der Bürgermeister ein, müsse die Bürgerschaft über seine großartigen Pläne entscheiden. Letztlich – welch bürgermeisterliche Erkenntnis – entscheide „nicht das Rathaus, sondern die Realität“. Jeder Sozialdemokrat – groß und klein – klatschte für zwei.
Nun drängelten sich die Oppositionsparteien. Alle wollten dem Märchenprinzen behilflich sein, so kurz vor der Wahl. CDU-Kronprinz und Spitzenkandidat Ole von Beust maulte, neu sei die Idee überhaupt nicht, trotzdem aber gut, und mit der CDU werde sie noch besser. Nämlich eine Hafen-City als Gewerbegebiet. Ihm übrigen sei es eine Flucht vor der Wirklichkeit. „Die Menschen draußen haben völlig andere Probleme“, rief von Beust. Gern aber lasse er sich – in Koalitionsverhandlungen? – auch „eines Besseren belehren“.
Die GAL findet sich da erheblich Koalitions-kompatibler. Der Plan einer Hafen-City stamme eigentlich von der Grünen. Nur habe man es weniger „im Bereich des Religiösen“formuliert, so Fraktionschef Willfried Maier, habe es „Konzept“statt „Vision“genannt. Und vor allem nicht den verhängnisvollen Fehler begangen, eine stadtentwicklungspolitisch richtige Überlegung mit der unsinnigen Finanzierung der Hafenerweiterung Altenwerders zu verknüpfen. Dennoch, die GAL würde gerne, zu gerne, den Bürgermeister im persönlichen (Koalitions-)Gespräch über seine Fehler aufklären, auf daß er Einsicht zeige.
Nur das mit dem Ahnenkult solle er sich abgewöhnen, findet Maier: „Ich begründe meine Redebeiträge auch nicht damit, daß ich gerade mit Marx gesprochen habe.“
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