: Herrn Jacobs' Plädoyer
Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hält die nordrhein-westfälische Frauenquote für EU-rechtswidrig. Eine Analyse seiner Argumente ■ Von Christian Rath
Es gibt Siege im Geschlechterkampf, die können Frauen und Männer gemeinsam feiern. Ende April entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg einen solchen Fall. Seither können bei der Jobsuche diskriminierte BewerberInnen viel höheren Schadenersatz erhalten als bisher im deutschen Recht vorgeschrieben. Geklagt hatte ein Mann, der sich auf eine nur für Frauen annoncierte Stelle beworben hatte.
Anders sieht es jedoch aus, wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) demnächst über die Frauenquote im öffentlichen Dienst urteilen muß. Wieder klagt ein Mann. Doch falls er gewinnt, geht dies eindeutig zu Lasten der Frauen. Seine Chancen stehen gut, denn vor wenigen Tagen hat der unabhängige Generalanwalt am EuGH, der Engländer Francis Jacobs, die Klage befürwortet. Und meist folgt der Gerichtshof den Schlußanträgen des Generalanwalts.
Der frühere Rechtsprofessor Jacobs schlußfolgert in seinem 30seitigen Gutachten, daß die nordrhein-westfälische Frauenquote gegen EU-Recht verstoße. Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie von 1976 verbiete nicht nur die Diskriminierung von Frauen, sondern auch die von Männern. (Im öffentlichen Dienst an Rhein und Ruhr ist unter zwei gleich qualifizierten BewerberInnen in der Regel die Frau einzustellen oder zu befördern – solange im fraglichen Bereich Frauen noch unterrepräsentiert sind.)
Die nordrhein-westfälische Landesregierung beruft sich auf folgende, recht verklausulierte Ausnahmevorschrift in der EU- Richtlinie: „Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beeinträchtigen, entgegen.“ Um die Auslegung dieser Ausnahmebestimmung wird vor dem EuGH vor allem gerungen. NRW-Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers ist sich sicher: „Die NRW-Quote ist eine solche Maßnahme zur ,Förderung der Chancengleichheit‘.“
Generalanwalt Jacobs hat den Begriff der Chancengleichheit dagegen betont eng ausgelegt. Erlaubt sind nach seiner Auffassung lediglich Maßnahmen, die bei Schulwahl und Berufsbildung ansetzen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Wie alle QuotengegnerInnen unterscheidet er streng zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit: „Der Umstand, daß zwei Bewerber unterschiedlichen Geschlechts die gleiche Qualifikation haben, bringt definitionsgemäß mit sich, daß die beiden Bewerber die gleichen Chancen hatten und haben.“ Werde in solchen Fällen trotzdem die Frau bevorzugt, so gehe es eben nicht mehr um Chancengleichheit, sondern bereits um „Ergebnisgleichheit“, die aber nicht Ziel des Gemeinschaftsrechts sei.
Zwar sei es durchaus legitim, die 20 Jahre alte EU-Richtlinie auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Dies sei jedoch, so Jacobs, Aufgabe der Politik, nicht des Gerichtshofs. Jacobs ignoriert dabei, daß gerade der EuGH in Sachen Rechtsfortbildung schon häufig weit über das hinausgeprescht ist, was unter den EU-Mitgliedsstaaten Konsens war. So hat er erst im letzten Jahr den rechtlichen Schutz für Transsexuelle verbessert und dabei die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie betont weit ausgelegt.
Argumente für ein weites Konzept von „Chancengleichheit“ gibt es jedenfalls genug. Immerhin waren Frauen noch nie so gut ausgebildet wie heute, und doch sind sie in den oberen Sphären des öffentlichen Dienstes immer noch eine Minderheit. Es muß also andere „tatsächliche Hindernisse“ für das Fortkommen von Frauen geben, und da diese vor allem im mentalen und informellen Bereich liegen, kann ihnen nur über eine formalisierte Quote oder über verbindliche Zielvorgaben begegnet werden. Ob man dies nun als ausgleichende individuelle Chancengleichheit oder als Übergang von Individual- zu Gruppenrechten definiert, ist zweitrangig. Entscheidend ist, daß ein Konzept der Chancengleichheit ohne derartige Maßnahmen leerläuft.
Die Chancen, sich beim EuGH mit solchen Argumenten noch Gehör zu verschaffen, sind offen. Zwar hat sich der Gerichtshof bereits 1995 in seinem Urteil zur Bremer Frauen-Quote darauf festgelegt, den Begriff der Chancengleichheit ebenfalls betont eng auszulegen. Allerdings, so wurde durch eine Indiskretion bekannt, war das Stimmenverhältnis am EuGH damals denkbar knapp (6:5), so daß nun auch andere Mehrheiten möglich scheinen.
Die QuotenbefürworterInnen hoffen jetzt darauf, daß der EuGH einen Unterschied machen wird zwischen der weniger rigiden NRW-Quote und der Bremer Quote, bei der Frauen ausnahmslos „absolut und unbedingt“ zu bevorzugen waren. Im NRW-Gesetz heißt es dagegen, daß im Einzelfall auch ein gleich qualifizierter Mann eingestellt oder befördert werden kann, wenn Gründe, die in seiner Person liegen, „überwiegen“.
Francis Jacobs will den Hinweis auf diese „Härtefallklausel“ jedoch nicht gelten lassen. Da sich auch das NRW-Gesetz nicht auf Chancen-, sondern auf Ergebnisgleichheit richte, sei irrelevant, ob beim Verfolgen des falschen Ziels das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werde oder nicht.
Im übrigen, so dreht Jacobs zur Überraschung aller BeobachterInnen den Spieß um, sei die NRW- Härtefallklausel frauendiskriminierend und deshalb rechtswidrig. Dabei würden nämlich zugunsten der Männer auch „traditionelle Hilfskriterien“ wie das Dienstalter oder die Unterhaltsverpflichtungen der BewerberInnen verglichen. Daß solche Hilfskriterien Frauen benachteiligen, ist keine neue Erkenntnis. Schließlich unterbrechen eher Frauen ihre Dienstzeit zugunsten der Kindererziehung, außerdem haben Frauen auch selten einen nichterwerbstätigen Partner zu ernähren. Jacobs geht nun soweit zu sagen, solche Hilfskriterien seien eben auch dann frauendiskriminierend, wenn sie nur ausnahmsweise „im Härtefall“ angewandt würden.
Wenn es nach Francis Jacobs ginge, könnte unter gleich qualifizierten BewerberInnen offensichtlich nur noch das Los entscheiden. Auch ein revolutionärer Gedanke.
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