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Schalke, aufwachen!

Nach dem Gewinn des Uefa-Pokals gegen Inter Mailand wähnen sich die Fans noch in einem Traum  ■ Aus Mailand Markus Franz

Fünf Minuten nach zwölf in den Katakomben des Meazza-Stadions in Mailand. Pressekonferenz nach dem Endspiel um den Uefa-Cup zwischen Inter Mailand und einem Vorortklub aus Gelsenkirchen, Ruhrpott, auch unter dem Namen Schalke 04 bekannt. Eine Dreiviertelstunde nach Spielende branden wieder einmal besonders laute Gesänge durch die dicken Betonmauern. Da lehnt sich Schalkes Trainer Huub Stevens entspannt zurück und lächelt versonnen sein breitestes Lächeln. Was Schalke auszeichnet, wird er gefragt. „Ich weiß es nicht“, antwortet er erst. Und dann: „Die Fans. Wir haben die besten in Europa.“

Am selben Morgen kurz vor zehn im Mailänder Hauptbahnhof. Beunruhigt spitzen die Reisenden in der Kassenhalle die Ohren. Ein fernes Grollen dringt zu ihnen herüber. Ein Zug? Doch wer denkt schon daran. Die italienischen Eisenbahner streiken ja zwei Tage. Wenig später ist klar: „Hurra, hurra, die Schalker, die sind da.“ Unablässig strömen die Blau-Weißen von den Sonderzügen aus Deutschland die Rolltreppe herunter. In den hohen Gewölben des Bahnhofs klingen ihre Choräle wie in der Kirche. Und ist es etwa kein Glaubensbekenntnis, wenn sie mit ausgebreiteten Armen inbrünstig singen: „We love you, Schalke, we do, Schalke, we love you.“

20.000 Fans sind mitgereist und haben für die Tickets nicht selten 1.000 Mark gezahlt. Einige müssen aber am Abend vor den Toren des 84.000 Menschen fassenden Stadions bleiben, wenn sie nicht das Glück hatten, im Laufe des Tages freundlichen „Milanistas“ zu begegnen. Die Anhänger des AC verabscheuen Inter nämlich so sehr, daß sie bei wichtigen Spielen Karten erwerben und diese dann günstig, weit unter den gepfefferten Schwarzmarktpreisen, an die gegnerischen Fans verkaufen. Wie schon in Brügge, Teneriffa, Valencia beherrscht Blau-Weiß die Innenstadt, und die Mailänder staunen nicht schlecht, als sich Tausende vor dem Domplatz lagernde Schalker immer wieder zu dem Slogan erheben: „Steht auf, wenn ihr Schalker seid.“

Ob Schalke verdient den Uefa- Pokal gewonnen hat, mit dem 4:2 gegen Inter im Elfmeterschießen, wird Huub Stevens gefragt. Daraus spricht ungläubiges Staunen der Journalisten darüber, daß der Tabellen-Zwölfte der Bundesliga, eine Mannschaft, die noch vor 14 Tagen zu Hause 0:1 gegen Absteiger Düsseldorf verloren hat, die in den letzten zehn Bundesligaspielen nur drei Tore schoß, daß der Verein, der vor vier Jahren fast abgestiegen, vor fünf Jahren fast pleite gegangen wäre, der erstmals seit 17 Jahren wieder im Uefa-Cup vertreten ist, daß „diese blinden Nackermänner“, wie Torwart Jens Lehmann sagt, den sieben Meistertiteln in der 93jährigen Vereinsgeschichte die Krone aufgesetzt haben.

„Es ist nicht wichtig, ob wir verdient gewonnen haben“, sagt Stevens, und weil er den Erfolg wohl kaum mit der Stärke seiner Truppe begründen kann und auch nicht himmlische Mächte für sich vereinnahmen will, sagt er unüberprüfbar: „Die ganze Organisation hat's verdient.“ Damit meint der Mann, der sich bei Amtsantritt die Geburtstage der Spieler und ihrer Familienmitglieder geben ließ, um immer gratulieren zu können, wohl selbst die Balljungen und Kartenabreißer.

Möglicherweise hat auch die Mannschaft ihren Teil zum Gewinn des Uefa-Pokals beigetragen. Nicht mit schönem Spiel, aber so, daß die anderen noch weniger schön spielen konnten. Schalke habe eine der besten Defensivmannschaften Europas, hatte Valencias Trainer Valdano behauptet. Auf einen Gegenspieler nahe des Strafraums kamen meistens zwei Schalker, die nicht nur zum Ball hingingen oder liefen, wie einst Beckenbauer im Mai, sondern sich in mehreren Lagen übereinander vor den Ball schmissen. Selbst die Stürmer sind in Defensivaufgaben eingebunden, da wundert es nicht, daß man kaum Tore schießt. Nach dem 0:1 durch den Chilenen Ivan Zamorano glaubte kaum ein Schalke-Anhänger daran, daß seine Mannschaft noch einen Treffer erzielen könnte.

Doch ungeachtet allen Kampfgeistes wirken die Schalker abgeklärt und routiniert. Kaum ein Ball wird blind weggeschlagen. Liegt's an der internationalen Erfahrung der Truppe? Zwölf Spiele auf internationalem Parkett hat ja nun jeder auf dem Buckel. Entscheidend ist wohl eher der erstaunliche Zusammenhalt der Mannschaft, in der sich die Ersatzspieler nicht weniger freuen als die Stammspieler. Niemand beansprucht für sich in dieser Mannschaft der Malocher eine herausragende Stellung. Selbst Torwart Lehmann, der vor den Augen von Berti Vogts perfekt den Strafraum beherrschte und beim Elfmeterschießen gleich den ersten von Zamorano hielt, wehrte ab: „Ich fühle mich nicht als Matchwinner.“ Die Spieler wirken eher demütig als wie stolze Sieger. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Stürmer Eric Wilmots schlicht.

Auch die Fans scheinen merkwürdig bescheiden. Eines ihrer Lieblingslieder in den vergangenen Wochen war nicht „Wir holen den U-U-Uefa-Cup“, sondern „Finale o-ho, Finale o-ho“. Als reiche es ihnen, nach 17 eher trostlosen Schalker Fußballjahren einfach dabeizusein. Selbst nachdem Kapitän Olaf Thon den Pokal in den Abendhimmel gestreckt hatte, stimmten sie ihr „Finale o-ho“ an. Schalke – aufwachen!

Schalke 04: Lehmann – Thon – de Kock, Linke – Latal (111. Held), Eigenrauch, Nemec, Müller (98. Anderbrügge), Büskens – Max, Wilmots

Zuschauer: 81.675; Tor: 1:0 Zamorano (85.)

Elfmeterschießen: 0:1 Anderbrügge, Lehmann hält gegen Zamorano, 0:2 Thon, 1:2 Djorkaeff, 1:3 Max, Winter verschießt, 1:4 Wilmots

gelb-rote Karte: Fresi wegen wiederholten Foulspiels (90.)

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