■ Vor 30 Jahren besiegte Israel im Sechstagekrieg die Araber. Doch im Nahen Osten garantiert kein Sieg Stabilität: Die Dialektik des Sieges
Deutlicher hätte das Ergebnis des 67er Nahostkrieges kaum ausfallen können. Nach sechs Tagen hatten israelische Truppen den ägyptischen Sinai, den Gaza-Streifen, das westliche Jordanufer und den syrischen Golan besetzt. In die arabischen Geschichtsbücher sollte der Nahostkrieg 1967 als Al- Naksa – das Desaster – eingehen. Die israelische Sternstunde war die arabische Heimsuchung, der Jubel des einen das Trauma des anderen. Der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln schien die politische Zukunft der Region besiegelt zu haben. Für kurze Zeit sah es so aus, als hätte eine Seite den arabisch-israelischen Konflikt endgültig entschieden.
Doch was dann einsetzte, war die Dialektik zwischen Sieg und Niederlage in einem Konflikt, in dem es keinen Gewinner geben kann. Der Sieger hatte durch die besetzten arabischen Gebiete sein ursprüngliches Territorium praktisch verdreifacht und das militärische Potential des Gegners in Trümmer geschossen.
Doch der Verlierer war trotzig. Die arabischen Staaten einigten sich bei ihrem Gipfeltreffen in Khartum kurz nach dem Krieg auf ihr berühmtes dreifaches Nein. Nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen, nein zum Frieden. Der Verlierer erwies sich immer noch als stark genug, um für ständige Instabilität zu sorgen.
Israel das Leben schwerzumachen war fortan das arabische Motto. Wenngleich dies auch die arabische Seite teuer zu stehen kam. Undemokratische Regime für scheinbar alle Ewigkeit und jahrzehntelange wirtschaftliche Stagnation waren die Folgen des quasi ununterbrochenen Kriegszustandes. Doch der Verlierer erwies sich immer noch als stark genug, für ständige Instabilität zu sorgen.
In der Logik des Krieges war diese Strategie auch wirkungsvoll. So zwang der arabische Nachweis, daß der israelische Staat doch nicht unangreifbar war, Israel zum Nachdenken. Die Verlierer von 1967 beendeten im Yom-Kippur- Krieg 1973 den Mythos von der unverwundbaren israelischen Armee. Der zweideutige Ausgang dieses Krieges hinterließ in der israelischen Öffentlichkeit ein Gefühl der Unsicherheit. Ein Gefühl, das später noch einmal wiederkehren sollte, als irakische Scud-Raketen während des Golfkrieges den Mythos der unverletzbaren Grenzen Israels in Frage stellten.
Israel ist jeder arabischen Konstellation militärisch überlegen. Diese Prämisse, die auf der massiven US-Militärhilfe fußt, wurde seit 1967 kein einziges Mal in Frage gestellt. Und dennoch bleibt das Land verwundbar.
Die Zeit für die Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist angebrochen, genannt Verhandlungen, gelegentlich auch mit dem Wort „Frieden“ als Zusatz. Das Prinzip ist das gleiche wie auf dem Schlachtfeld. Israelische Überlegenheit gegenüber jeglicher arabischer Konstellation. Die Karten waren von Beginn an ungleich gemischt. Israel hält als Verhandlungsmasse die vor 30 Jahren besetzten Gebiete in der Hand. Militärische Überlegenheit und nukleare Option bilden das Rückgrat der israelischen Verhandlungsposition.
Die arabische Seite konnte nicht viel mehr als ihre drei Neins ausspielen. Mit den Madrider Friedensverhandlungen und einer relativ vagen israelischen Versprechung, mit US-Garantien Land, jenes 1967 geschaffene Faustpfand, für Frieden eintauschen zu wollen, hat die arabische Seite ihre drei Neins von Khartum schnell aufgegeben. Israel ist anerkannt, arabische Delegationen schütteln fast wöchentlich die Hände ihrer israelischen Verhandlungspartner und diskutieren die weitere Durchführung ihrer Vertragswerke.
Dabei ist es eine Ironie der Geschichte, daß die Araber heute, 30 Jahre nach dem dreifachen Nein von Khartum und nach Aufgabe dieser Position, mit israelischen Neins in allen entscheidenden Fragen konfrontiert sind. Nein zur Aufgabe von Siedlungen, der Rückkehr von Flüchtlingen, der Lösung des Jerusalem-Problems, der Anerkennung eines palästinensischen Staates, der Rückgabe des Golan und des besetzten Südlibanon. Mit dieser Verweigerungshaltung hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Wahlen gewonnen, und bis heute hat er sein Wahlversprechen eingehalten.
Waren die Araber im 67er Krieg noch nicht endgültig besiegt, so glauben heute viele in der arabischen Welt, daß Israel nun nahe daran ist, dies auf dem Verhandlungswege zu erreichen. Nach dem Ausspielen all ihrer Karten bleibt der arabischen Seite kaum mehr als der Appell an die internationale Öffentlichkeit, die Bitte an den US-Vermittler, sich nicht zu einseitig auf die israelische Verhandlungsposition zu schlagen, und die Forderung nach einer klareren europäischen Vermittlungsrolle.
Eine Situation, in der schnell wieder die Dialektik zwischen Sieger und Besiegtem einsetzen könnte. Der Prozeß der Normalisierung könnte jederzeit eingefroren werden, warnt bereits heute die arabische Seite. Eine Ermahnung, die vom siegessicheren Netanjahu bisher stets in den Wind geschlagen wurde. Die israelische Rechte glaubt bis heute, weiterhin ganz komfortabel ohne Nachbarn leben zu können. Arabischer Trotz und Instabilität, so behaupten sie, gehören eben zur israelischen Normalität. Daß es dabei nicht bleiben wird, das hat die Geschichte nach dem 67er Krieg bewiesen, als es schon einmal so aussah, als gebe es einen Sieger und Besiegte. Wir erinnern uns: Immer wenn sich die arabische Seite in die Ecke gedrängt fühlt, wird sie versuchen, die Verwundbarkeit Israels zu demonstrieren. So kann sich der israelische Plan, die arabische Seite am Verhandlungstisch zu bezwingen, als äußerst gefährlich erweisen. Eines hat die Dialektik zwischen Sieger und Besiegten im Nahen Osten immer wieder bewiesen: Solange es einen Sieger und einen Besiegten gibt, gibt es am Ende nur Verlierer.
In Kairo und Damaskus denkt so mancher Stratege inzwischen wieder laut über die Möglichkeit des Krieges als Politik mit anderen Mitteln nach. Auch das Gerede von einer neuen palästinensischen Intifada steht inzwischen wieder auf der Tagesordnung. In einem Punkt hat der Konflikt heute allerdings eine andere Qualität. Die arabische Seite hat in Madrid das Prinzip Land für Frieden akzeptiert und damit die Existenz Israels anerkannt. Würde Israel das 1967 gewonnene Faustpfand gegen Frieden eintauschen, wäre dies der Schlüssel, um die zerstörerische Dynamik im Nahen Osten zu unterbrechen. Und dann wäre die ewige Dialektik zwischen Siegern und Besiegten erstmals durchbrochen. Karim El-Gawhary
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