■ Die Grünen dürfen keine pauschale Wachstums- beschränkung fordern. Eine Antwort auf Ralf Fücks: Für ein ökologisches Wachstum
Ist die Wachstumspolitik am Ende? Müssen sich die Grünen auf ihre Anfänge zurückbesinnen, als sie es noch wagten, unpopulären Konsumverzicht zu fordern? Ja, antwortete Ralf Fücks unlängst in der taz und resümierte: „Zur ökologischen Politik gehört Verzicht.“ Ein bemerkenswerter Satz für einen prominenten Realo. Doch sein Konzept ist ungenau, und die politische Konsequenz – grüne Wertediskussion statt Arbeitsmarktpolitik – könnte fatal sein.
Würde Fücks nur eine drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs fordern, so wäre dagegen nichts zu sagen. Er hat allerdings auch das Bruttosozialprodukt im Visier. Und da beginnt die Verwirrung der Begriffe. Denn es gilt zu unterscheiden, ob man vom Wachstum des Ressourcenverbrauchs redet, der Produktion oder des Bruttosozialproduktes. Grüne Politik muß diese Begriffe auseinanderhalten und darf sie nicht mit Verzichtsrhetorik überwölben.
Das Ehepaar Meadows hat in seinem Fortsetzungsbericht „Die neuen Grenzen des Wachstums“ 1992 mit Hilfe einer Computersimulation den Zusammenbruch der Weltwirtschaft für die Zeit zwischen 2020 und 2030 prognostiziert, wenn die politischen Parameter so bleiben wie bisher. Dann würde die Weltwirtschaft in einem gigantischen Crash auf das Niveau vom Anfang dieses Jahrhunderts zurückfallen.
Der Grund: Ein Großteil unserer Bauwerke und unserer industriellen Infrastruktur könnte wegen der wachsenden Kosten für Energie, für Rohstoffe und Umweltreparaturen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Deshalb plädieren die Meadows für sinkenden Ressourcenverbrauch. Sie plädieren aber keineswegs für ein Ende des Wachstums der Güterproduktion. Im Gegenteil: Ressourcenverbrauch und Emissionen müssen drastisch reduziert werden, damit der Crash der Wirtschaft verhindert wird.
Konkret bedeutet das: die Reduzierung der CO2-Emissionen um 80 bis 90 Prozent durch Umstieg auf regenerative Energien und Energiesparen; den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, um den Ressourcenverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren; den Stopp des Bevölkerungswachstums, insbesondere durch Verbesserung der Situation und der Ausbildung der Frauen usw. Das alles zusammen bedeutet „Verzicht“ beim Ressourcenverbrauch und bei den Emissionen.
Sicherlich, in der Produktion wird es einzelne Bereiche geben, in denen ein Ende des Wachstums, also „Verzicht“, erforderlich sein kann. So ist es fraglich, ob wir uns noch mehr Wohnfläche pro Kopf leisten können, selbst wenn wir Nullenergiehäuser anstreben. Und es ist fraglich, ob Flugzeuge so umweltverträglich werden können, daß wir uns ein weiteres Wachstum des Flugverkehrs leisten können.
Dies alles hat aber rein gar nichts mit dem Wachstum oder Sinken des Bruttosozialprodukts zu tun. Denn das Bruttosozialprodukt ist in erster Linie eine Zahl, die nichts darüber aussagt, ob es mit Hilfe von AKW oder mit Windkraftwerken produziert wurde. Aber: Ein geringes Wachstum des Bruttosozialproduktes ist zumindest ein Gradmesser für wirtschaftliche Stabilität und drückt einen gewissen Produktivitätsfortschritt aus. Mehr nicht.
Deswegen ist die Forderung, das Bruttosozialprodukt müsse sinken, die bei Ralf Fücks deutlich anklingt, falsch. Es kann nicht Ziel der Grünen sein, eine Wirtschaftskrise hervorzurufen. Im Gegenteil. Es sollte gerade ihr Ziel sein, den ökologischen Umbau unserer Gesellschaft rechtzeitig und ohne Wirtschafts-Crash zu organisieren.
Ähnlich fragwürdig erscheint auch Fücks' zweite These: „Wachstum schafft keine Arbeit mehr.“ Und hier meint er explizit das Wachstum des Bruttosozialproduktes. Die Beobachtung mag richtig sein, der springende Punkt ist ein anderer: Ein Sinken des Bruttosozialproduktes bedeutet auf jeden Fall eine Verschärfung der Krise und damit mehr Massenarbeitslosigkeit.
Daß das ökonomische Wachstum nicht automatisch mehr Beschäftigung und Arbeit bringt, liegt an unserem falschen Steuer- und Sozialversicherungssystem, das fast 70 Prozent aller staatlichen Steuern und Abgaben auf den Lohn aufschlägt. Wie es anders gehen kann, zeigt ein Blick nach Dänemark. Dort ist die Arbeitslosigkeit deutlich geringer als hierzulande. Warum? Ein dänischer Bauarbeiter verdient netto mehr als bei uns, aber brutto kostet er seinen Betrieb 25 bis 30 Prozent weniger. Der Grund: Dänemark finanziert seine Sozialsysteme über Verbrauchssteuern. Die Mehrwertsteuer liegt bei 22 Prozent, und es gibt seit Jahren Ökosteuern, die Schritt für Schritt angehoben werden. Wir brauchen also kein Ende des Wachstums, sondern eine andere Finanzierung unseres Sozialsystems. Und dazu braucht die Linke einen Paradigmenwechsel.
Denn in der Bundesrepublik gilt unter Linksalternativen immer noch als Wahrheit, daß Verbrauchssteuern unsozial sind. Das stimmt aber in einer Zeit nicht mehr, in der die Staatsquote (Steuern und Abgaben) 50 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmacht, in der direkte Steuern und Abgaben nicht hauptsächlich von den Reichen, sondern von den Facharbeitern und Angestellten getragen werden und in der Steuern zum entscheidenden Faktor für die Steuerung der Wirtschaftsprozesse geworden sind. Heute gilt: Wer Umweltschäden vermeiden will, muß Umweltbelastung besteuern, wer aber vorrangig Arbeit mit Steuern und Abgaben belastet, der vernichtet Arbeitsplätze. Darüber hinaus ist auch die gezielte Förderung von kleinen, arbeitsintensiven Betrieben, von Handwerk und (ökologischen) Technologien erforderlich, also jener Bereiche, in denen Arbeit entsteht.
Dieser notwendige Anpassungsprozeß ist in Deutschland lange durch die hohen Exportquoten verdeckt und verzögert worden. Heute hat Deutschland den zweithöchsten Anteil an Industriearbeitern von allen Industriestaaten, nur Belgien hat noch mehr.
Die Grünen haben in den letzten Jahren brauchbare Konzepte entwickelt, wie eine nachhaltige Wirtschaftsweise und eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit möglich wäre – u.a. mit ihren Ideen zur Steuerreform, zur Ökosteuer, zur Grundsicherung und wirtschaftspolitisch zur Stärkung kleiner und mittlerer Betriebe. Nun kommt es darauf an, die ökonomische Kompetenz der Grünen in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Ein Appell zur Rückkehr zu den Anfängen der Grünen und einer Verzichtsphilosophie trägt dazu nicht bei. Karl-Martin Hentschel
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