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Telekommunikative U-Bahn

■ Seit gestern ist die Stadt um einige handyfreie Räume ärmer. Auf allen U-Bahn-Strecken kann man mobil telefonieren. Ob sich der Deal für die BVG rechnet, bleibt abzuwarten

Der Neuköllner Otto Pachulke ist Sozialhilfeempfänger. Jetzt kann auch er auf allen U-Bahn- Strecken mit seinem Handy telefonieren. „Niemand braucht mehr alleine zu sein – nirgendwo“, sagte gestern der Sprecher der Telefongesellschaft zur Einweihung des Netzes, das mobile Telekommunikation in 143 Kilometern U-Bahn- Tunnel und 168 Bahnhöfen ermöglicht.

Pachulke kann nun jederzeit seine Sachbearbeiterin anrufen: „Guten Tag, Frau Klaffke. Ich wollte noch mal nachfragen wegen der Beihilfe für mein Sommerjacket. Und könnten sie auch die Telefongebühren übernehmen?“ Das Sozialamt: „Die Jacke ist abgelehnt. Über die Kosten des Handys können wir reden. Ich schick' Ihnen das Formular als Fax auf ihre Mailbox.“

Auch Sozialhilfeempfänger müssen mobil und flexibel sein. Sonst geht ihnen womöglich ein Job durch die Lappen. Pachulke wartet minütlich auf den Anruf vom Arbeitsamt, der ihn im Tunnel unter dem Moritzplatz erreichen könnte. „Wir haben die Stelle für Sie. Steigen Sie sofort am Kottbusser Tor um und melden Sie sich in der Nostitzstraß 25, 3. Hof, Firma Eisenbein.“

Ohne Handy-Kommunikation in der U-Bahn kein Sprung auf den Arbeitsmarkt. Kurz und bündig faßte es gestern Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) beim Probetelefonieren unter der Neuköllner Hermannstraße zusammen: „Berlin ist die Chancenstadt.“ Und der Telefonsprecher ergänzte: „Technische Innovation schafft Arbeitsplätze.“

Schneller Informationsaustausch schafft auch Kapital – nicht zuletzt bei Sozialhilfeempfänger Otto Pachulke. Selbst unter der Erde versorgt die Handyfirma ihn mit den neuesten Börsenkursen aus Frankfurt am Main und Hongkong: „Siemens geht runter? Sofort verkaufen, alles, weg mit dem Kram!“ Zwischen Ku'damm und Uhlandstraße kann Pachulke aus der Elektrotechnik aus- und in die Gentechnologie einsteigen.

Ob der Telefondeal auch der BVG Gewinn beschert, bleibt dahingestellt. „Wir brauchen unser eigenes Funksystem in der U-Bahn nicht zu renovieren, das spart uns Kosten“, erklärte ein BVG-Sprecher. Im Gegenzug müssen die Verkehrsbetriebe allerdings Gebühren an die Telefongesellschaft abdrücken – für derzeit etwa 1.000 U-Bahn-Betriebshandys. Tendenz steigend. Miete für die unterirdischen Räume und Kabelkanäle braucht das private Kommunikationsunternehmen zunächst kaum zu berappen. In einigen Jahren wird die Zahlung erhöht. Egal, es geht darum, alte BVG-KundInnen bei der Stange zu halten und neue zu gewinnen. Hannes Koch

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