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■ Tour d'EuropeDie großen Europäer fürchten um ihr Geld

In Amsterdam spielt heute Deutschland gegen Frankreich um das Beschäftigungkapitel, Großbritannien gegen die Beneluxstaaten um die Mehrheitsentscheidungen, und Italien kämpft um den Euro. Die meisten Zeitungsberichte über die Europäische Union lesen sich wie die Beschreibung von Länderspielen, und im Grunde ist das gar nicht so falsch. Wenn es um Europa geht, verwischen sich offensichtlich die Parteigrenzen, nationale Denkmuster bestimmen die Debatte. In Großbritannien mag sich durch den Regierungswechsel einiges geändert haben, in Brüssel spielt Labour- Chef Tony Blair dieselbe Melodie wie vorher der konservative John Major: Die Europäische Union soll möglichst auf eine Freihandelszone beschränkt bleiben, an politischer Zusammenarbeit besteht in London kein Interesse.

Nach allen Umfragen wünscht das auch die Mehrheit der britischen Bevölkerung. Den Gegenpol bildet Frankreich, das seine lange Tradition staatlicher Wirtschaftssteuerung auf die EU übertragen will. Aus französischer Sicht soll die EU die durch die Internationalisierung der Wirtschaft verlorengegangene Handlungsfähigkeit der Regierung auf europäischer Ebene zurückgewinnen.

In Frankreich erwartet die Bevölkerung mehrheitlich, daß die Regierung in Paris den Markt bändigt, wenn nötig, eben mit Hilfe der EU-Partner. Alle Pariser Regierungen sind in Brüssel für mehr staatliche Regelungen und gegen eine Liberalisierung der Wirtschaft eingetreten. Nicht erst der gerade neu gewählte Sozialistenchef Lionel Jospin, auch der rechte Alain Juppé forderte ein Beschäftigungskapitel sowie eine EU-Wirtschaftsregierung, um den Euro sozial abzufedern.

Ob sich Frankreichs neuer Premierminister Jospin eher durchsetzen kann, ist offen. Denn die deutschen Ängste vor einem weichen Euro stehen dagegen. Welch emotionale Energie in Deutschland allein der Ausdruck „hartes Geld“ auslöst, zeigt sich schon daran, wie leicht es erprobten Populisten wie Stoiber oder Schröder gelingt, die gesamte Europapolitik darauf zu verkürzen. Die meisten Franzosen sehen in einer harten Währung vor allem den Wettbewerbsnachteil beim Außenhandel. Für die meisten Deutschen ist die harte Mark Symbol für die Wirtschaftskraft. Da muß alles andere, selbst die soziale Absicherung, zurückstehen.

8 von 15 Regierungschefs sind Sozialdemokraten, sechs Konservative, doch in Amsterdam prallen keine Parteiideologien aufeinander, sondern nationale Denkmuster und nationale Interessen. Grob vereinfacht: Die kleinen und die armen Staaten wollen mehr Europa, die großen und die reichen fürchten um ihre Souveränität und um ihr Geld. Sie wollen deshalb lediglich mehr Einfluß auf Europa. De Gaulle wäre glücklich: Wir leben im Europa der Nationen. Alois Berger

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