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Der anhaltinische Weizsäcker Von Wiglaf Droste

Die Gabelweihe kreist / Man nennt sie auch Milan / Das klingt nach Italienien / Das klingt nach Speiseplan, dichtete ich recht vorläufig an einem Lied zugunsten des beginnenden Sommers herum; irgend etwas mit Parmesan sollte vielleicht auch noch darin vorkommen.

Egal jetzt, es hatte keine Eile damit. Das Automobil glitt dahin; durch die geöffneten Seitenfenster floß kühlender Wind ins Wageninnere und ließ Haare und Kleid der jungen Frau, die freundlicherweise chauffierte, lustig herumflattern. Tagelang hätte man so fahren können, ganz egal wohin, Hauptsache kein Stillstand. Autonomer Widerstand / Endlich schön und elegant, murmelte es in mir herum, während ich dem Geflatter zusah. Dann döste ich weg.

Von Schönheit träumen und in Sachsen-Anhalt aufwachen, das ist brutal. Auf einer Autobahnraststätte in der Nähe vor Magdeburg rieb ich mir die Augen. Durch die Heckscheibe sah ich die Chauffeurin tanken. Ich stieg aus und wusch die Überreste diverser Insekten von der Windschutzscheibe. Der Tankwart stand vierschrötig herum, glotzte, als hieße er Rainer Basedow. „Höhö, Mädchen“, grunzte er, „hast ja Beine bis zur Fontanelle.“ Ich überlegte kurz, ob ich ihm eine nasse Bratpfanne an den Kopf werfen sollte, aber dann fiel mir ein, daß Fontanelle eigentlich kein böses Wort ist und für einen Tankwart sogar ganz gut.

Auf der Weiterfahrt dachte ich mir einen Trick aus für Leute, die nach Sachsen-Anhalt reisen müssen und sich deshalb genieren. Statt im Tonfall eines Schuldgeständnisses „Ich fahre nach Sachsen-Anhalt“ zu sagen und dafür Blicke zu ernten, die nur als „die arme Sau“ interpretiert werden können, gibt man mit möglichst blasiertem Blick zu Protokoll: „Ich mache eine Reise ins Sachsen-Anhaltinische.“ Augenblicklich wird man angesehen, als sei man der Messias einer neuen Aristokratie.

Der Trick ist nicht neu, und der letzte, der damit erfolgreich hausieren ging, war Richard von Weizsäcker, ein Alchimist, der Stroh zu Gold spinnen konnte. Sein Erfolg beruhte auf jener Vereinbarung, die man kollektiven Wahn nennt: Zwar sah, hörte und wußte jeder einzelne, daß nur Stroh gedroschen wurde, alle zusammen im Verein aber schworen felsenfest, das Gold mit eigenen Augen gesehen und mit den eigenen Händen berührt zu haben.

So wurde Richard von Weizsäcker zur Leitfigur all jener, die sich damit abgefunden hatten, in miserablen Verhältnissen zu leben, diese tiefe Frustration aber um keinen Preis zugeben wollten. Als die Deutschen 1989 die kümmerlichen Reste ihres Verstandes an der nationalen Garderobe abgaben, erhielten sie von Richard von Weizsäcker zum Lohn dafür das gute Gefühl, genau das Gegenteil dessen zu tun, was sie gerade taten: Waren sie feige Masse, nannte er sie mutige Individuen; saßen sie uniformiert, angetrunken und sich am Sack kratzend im Zugabteil, nannte er sie junge, verantwortungsvolle Staatsbürger, schlugen sie um Schutz bittende Fremde tot, waren sie Menschen, die aus tiefer innerer Not heraus handelten.

Die Reise aus dem Sachsen-Anhaltinischen endete banal, in Berlin. Auch der Parmesan stellte sich ein, so wie ihn Matthias Beltz bedichtet hat: Partisan und Parmesan / Wo sind sie geblieben / Partisan und Parmesan / Wurden aufgerieben.

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