■ Standbild: Am Tisch mit dem Präsi-Körper
„Bei Roman Herzog im Bellevue“, Mi., 21.15 Uhr, ARD
Gleich zu Anfang die große Enttäuschung: das Thema stimmte gar nicht.
„Ein Volk, zwei Geschichten? Anläßlich des 17. Juni diskutiert Roman Herzog mit Bürgern aus Ost und West“, stand in der Programmzeitschrift, doch irgendwie muß da kurzfristig etwas umgeplant worden sein – Gäste ausgefallen oder dergleichen. Neues Thema: „Herzogs Schnurrenbude: Wie ich das alles sehe mit Deutschland und so“.
Dann reden Sie mal ein bisserl, Herr Fritz Schenk, Publizist, denkt Herzog mit verkniffenem Gesicht, ich brummle derweil schon etwas Zustimmung, und wenn ich dabei nicht gefilmt werde, dann töne ich eben aus dem Off. Und dann sind Sie dran, Ilko-Sascha Kowalczuk, hochkompetenter Historiker.
Allseitiges Kopfnicken auf dessen Äußerungen, das auch den Präsi-Körper in Wallung versetzt und diesen mit Energie für eine weitere Wortmeldung versorgt, einen Urlaubstip für die Nation: Bautzen. „Ich kann nur heute jedem empfehlen, gehen Sie hinein in das ,gelbe Elend‘ – da bekommt man eine ganz andere Vorstellung von Rechtsstaat und Unrechtsstaat.“
Quälende Minuten später schnurrt der Historiker, den wir aus lauter Langeweile schon „Musterschüler Kowa“ genannt haben, eine Jugendanekdote herunter: „...und dann hab' ich mir gedacht, Moment mal, am 17. Juni, da reden doch im Westfernsehen immer ergraute Herren über die deutsche Einheit.“ Herzog wackelt hin und her. Später gibt er zu: „Ich habe eine der letzten Reden zum 17. Juni gehalten, Sie müssen sie nicht lesen, aber ich muß da nichts rausstreichen.“
Interessant wurde es nur einmal ganz kurz, als sich nämlich die Geschichtslehrerin Gundula Zückert daran erinnerte, wie sie für ihren Unterricht den DDR- Lehrplan zum 17. Juni interpretieren sollte. Von einem faschistischen Komplott war da die Rede: „Der Faschismus war ja damals noch gar nicht so weit weg.“ Hat sie das damals geglaubt? Unterrichtet sie heute noch Geschichte? Davon erfahren wir nichts. Auch nicht viel von Walter Scheler, der siebeneinhalb Jahre für sein Engagement am 17. Juni 1953 im Gefängnis saß. Die Gästen boten viel Potential für ein offenes Gespräch über Geschichte – leider kam es nicht zustande. Statt dessen salbaderte Herzog am Schluß noch einen drauf: „Wir wissen, wie sich das im Laufe der Zeit auseinander- oder weiterentwickelt hat. Und die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, daß wir diese Auseinander- und Weiterentwicklung unbeirrbar, Stück für Stück wieder rückgängig machen.“ Stefan Kuzmany
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