: Die toten Meisers
Hermetische Systeme on stage: 1.000 Jahre Hans Meiser und Die Toten Hosen ■ Von Benjamin v. Stuckrad-Barre
Wenn etwas zur Gewohnheit gerinnt oder in Vergessenheit gerät, ist eine großangelegte Jubiläumsjubelei gut geeignet, Phlegma und Patina fortzupusten (oder: freizulegen). Silberne Hochzeit, Marshallplan, Deutscher Herbst, Persil, Udo Lindenberg. Was, so lange schon? Und vor allem: immer noch?
Hans Meiser und Die Toten Hosen senden auf ihre Art seit – eigentlich immer. Was kam eigentlich vor Meiser und Gefolgschaft nachmittags im Fernsehen? Und wer hat vor Campino den Clown gemacht in der deutschen Unterhaltungsmusik?
Heute abend wird sich Hans Meiser sendenderweise zum 1.000 Mal (20.15 Uhr, RTL) zwischen die Gesetzmäßigkeiten von Diskussion und Diskretion begeben. Und morgen brüllen Die Toten Hosen zum 1.000 Mal über Opelgang, Schnaps und Scheißnazis. Im Düsseldorfer Rheinstadion, ganz große Sache. Und weiter geht's.
All der Schelte wegen fahren beide auch gerne mal weg, raus aus diesem Land – jedoch immer nur, um die Erlebnisse vorher, währenddessen und hinterher hierzulande effizientestens zu verbreiten. Hans Meiser sendet aus Mallorca, Die Toten Hosen senden aus Italien, Thema Fußball. Thema aber eigentlich egal. Nun will Hans Meiser gar vom Mond senden, und Campino nahm im Kloster eine „Auszeit“, doch kaum war die Kutte abgelegt, nutzten die dort gewonnenen Banalst-Erkenntnisse („Glauben schon irgendwie, Kirche aber doof“) zur Promotion einer Platte, die „Opium fürs Volk“ hieß und nach Bedeutung roch, aber nicht klang.
Inzwischen haben wohl auch Hans Meiser und Die Toten Hosen eingesehen, daß ihre Witzeleien am Kanzler und auch sonst nix ändern werden. Ihr neuester Witz ist die Gleichsetzung mit dem Kanzler. „Aussitzen, den Scheiß“.
Das durch nichts beirrbare Kalkül beider hat in der Tat jeden Kritikansatz fortgesessen. Meisers Themen sind egaler denn je, wie auch die Akkorde der toten Hosen. Meiser erzählt der Bunten von seinem Eheschiffbruch, Campino geht mit der Koksbeichte hausieren, und wenn er mal wieder einen Kubikmeter Trinklieder verkaufen möchte, kalauert er auch ohne zu zögern mit Knallköpfen wie Jochen Busse und Mike Krüger bei „7 Tage / Köpfe“. Und Hans Meiser beweist seine distanzierte Gewitztheit, indem er bei RTLs „Samstagnacht“ schelmisch am Xylophon steht. Die toten Meisers haben sich selbständig gemacht und befolgen so exemplarisch Herzogs Trümmerfrauenaufruf. Macht Arbeit, nicht frei! Künstler in die Produktion! Meisers Produktionsfirma „creaTV“ und Hosens „JKP“ sind angetreten, den Apparat zu unterlaufen, Unabhängigkeit zu schaffen – und Steuern zu sparen. Das ist Gründergeist.
Beide sind in ihrem Genre Marktführer. Die Toten Hosen singen laut und simpel genug den großdeutschen Schützenfesttango, und Hans Meiser ist so unsexy und übergewichtig wie der Mann auf der Straße, und der wird ja auch nicht weniger.
Natürlich erntet Hans Meiser alle verleihbaren Preise für seine Wurstsendung: Die heißen „Goldene Kamera“, „Bambi“, oder „Goldenes Kabel“, und die verleiht die Fernsehindustrie der Fernsehindustrie dafür, daß sie die Fernsehindustrie so toll ernährt. In der Musikbranche gibt es so was auch und heißt dann „Echo“ oder „Comet“, und Die Toten Hosen bedanken sich bei den regelmäßigen Verleihungen nicht, sondern pöbeln, weil das Punk ist und erwartet wird. Dann wird Playback gesungen, auch eine Art der Verweigerung. Also doppelt Punk.
Es geht immer weiter: send, send, send
Campino ist stolz auf Lob von den Ramones, Meiser auf Zuspruch von Hajo Friedrichs, der Meisers Debüt einst lobte, 1.000 Jahre mag das hersein. Solch Profi-Höflichkeit deuten beide natürlich stolz um, also sind wir Punkrocker, also bin ich ein ernstzunehmender Fernsehjournalist. Und dann geht es weiter. Send, send, send.
Die Toten Hosen veröffentlichen andauernd Platten, mal live, dann best of, dann englisch, immer denselben Prollrotz, und dazwischen moderieren sie ohne jedes Talent eine Radiosendung, geben viele Interviews, schicken sogar Urlaubskarten, auf daß man sie nicht aus den Augen verliert. Und Hans Meiser denkt sich immer neue Sendungen aus, hofiert mal Kohl oder Copperfield, hängt grotesk an Helikopterkufen und stellt menschliches Elend, je nach Sichtweise, nach oder dar.
Wie auch Hans Meiser scheinen Die Toten Hosen getrieben von einer nimmermüden Gier, sich anderen nicht vorzuenthalten. Keine Atempause, Geschichten werden gemacht, damit auch alle schön an Bord bleiben. Ein öffentlich ausgetragenes Ehezerwürfnis mit reumütiger Rückkehr beschert Meiser breitestmögliche Anteilnahme, und Die Toten Hosen lassen sich Jahr um Jahr neue Späße einfallen, ob Eishockeyspiel, Fortuna Düsseldorf-Spende oder ein Konzert im Wohnzimmer von Ernst Albrecht. Das gab aber Ärger und Artikel.
Man kann diese Menschen nichts mehr fragen, sie nicht mehr ausbremsen, man kann nur noch hoffen, daß sie sich selbst irgendwann erübrigen. Was natürlich ein naiver Wunsch ist. Das 2.000. Konzert kann Campino sich sehr wohl vorstellen, weil er just den Spaß an körperlicher Fitneß entdeckt habe, und wenn Meisers Eheunglück bereinigt ist (sieht gut aus, sagen „gute Freunde“ in Bild), wird auch er weitersenden.
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