Wand und Boden: Eco lesende Italienreisende werden erschaudern
■ Kunst in Berlin jetzt: Vollrad Kutscher, Lukas Duwenhögger, Doug Hall, Ursula Döbereiner/Katharina Schmidt
Bisher sind nur ein paar Anwälte und das „Leopold's“ ins Kontorhaus Mitte eingezogen. Noch ist Platz für Kunst: Nachdem der Projektraum Berlin im Februar sieben Galerien eingeladen hatte, zeigt die Münchner Galerie Mathias Kampl bis Ende Juli zwei Installationen von Vollrad Kutscher, Kritik der City-Ökonomie inklusive. Weil Kutscher den Neubau als Baustelle enttarnen will, hat er die Fensterfront weiß übertüncht und „Wir renovieren – Verkauf geht weiter“ in die frische Farbe geschrieben.
Durch die Auslassungen kann man einen Tapeziertisch und Posterrollen erspähen. Ein paar Bahnen kleben notdürftig an der Wand, am Wochenende wird weitergearbeitet. Als Motive hat Kutscher die Gesichter von Größen der klassischen Moderne gewählt, Fotogramme nach Warhols „Marilyn Monroe“ oder „Joseph Beuys“, schwarzweiß, mit Hut. Daneben liegen Stapel aus, auf denen sich die Motive als Auflagenobjekte zwischen 800 und 2.000 Mark wiederholen. Kommerz und Sell-out, mittendrin im Neubeginn.
Die zweite Arbeit ist zwar ähnlich harmlos, aber mit mehr Geschick inszeniert. Für „Live Peep Show“ wurden die Scheiben rot gestrichen und wurde ein Guckloch frei gelassen. Innen sieht man eine Glühbirne und drum herum wieder Poster mit Künstler-Prominenz. Doch die Situation bleibt zweideutig, weil sie an die Neugier des Betrachters appelliert, ohne gleich träge ins Kunstmarkt-Bashing abzukippen.
Fr.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 185–190
Zunächst ein Bild: Drei Frauen stehen auf feinen Korbstühlchen und blicken, vom Betrachter abgewandt, hinaus auf Landschaft, das Ganze in Öl und hübsch oval gerahmt. Von der Decke hängt ein lavendelblau bezogenes Kissen aus Leinwand, an dem auf einem gläsernen Tablett ein aus Sand gebackener Schmetterling schwebt. In der Ecke steht ein Beistelltisch mit Kassettenrecorder, man hört eine aufgewühlt beim Pferderennen schnaubende Audrey Hepburn aus „My Fair Lady“, und später erzählt ein Radiomoderator von AFN giggelnd die Geschichte der Gay Lads, einer Band aus den sechziger Jahren, als gay angeblich nur bedeutete, daß man eine fröhliche Zeit hatte. Auf wenigen Quadratmetern verbindet sich solchermaßen das Musical nach G.B. Shaws „Pygmalion“ mit der kitschigen Heiterkeit im Dekor des späten 19. Jahrhunderts und ebenjener eigentümlichen Blockade, die Homosexualität auch in der historischen Parallele zu Stonewall nicht auszusprechen wagt.
„Innuendo“, die Ausstellung von Lukas Duwenhögger in der Galerie Neu, ist in der Umsetzung ebenjener Anspielungen konsequent. Behutsam richten sich die Bilder und Objekte gegen die festgeschriebenen Zeichen, wird aus dem ornamentalen Spiel ein Kommentar zu den Interpretationen etwa des „New Journalism“, in denen „camp“ generalisierend mit emanzipatorischen Lebensentwürfen gleichgesetzt und relativiert wurde. Mit der selbstverständlichen Anerkennung geht eine neuerliche Mystifikation einher. „Alle wissen genau, was damit gemeint ist, sagen aber: Wir wissen das nicht“, so Duwenhöggers Resümee. Diese Art Zwickmühlensituation des toleranten Mainstream beim Umgang mit schwuler Ästhetik gibt er nun an den Betrachter zurück.
Bis 15.8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Charitéstraße 3
Doug Hall betreibt Feldforschung mit dem Fotoapparat. 1994 hatte er den Palast der Republik nach SED-Interieurs abgesucht, dieses Frühjahr war der Kalifornier in Rom und Neapel, um Bibliotheken und Dokumentenkeller zu inspizieren. „The order of things“ ist bei aller Nüchternheit der Motive erstaunlich atmosphärisch und darin den Museumsaufnahmen von Thomas Struth vergleichbar.
Die Fotos entwickeln aus der Ansammlung endloser Bücherreihen und Aktenregale ein architektonisches Labyrinth, vor dem Eco lesende Italienreisende erschaudern, wenn sie etwa in den Lesesaal des Vatikans eindringen. Dennoch ist der Blick des Amerikaners auf die Mausoleen europäischer Buchkultur begeistert, aber auch ironisch. Stets schießt selbst in den verstaubten Archiven der Alltag mit seinen Schutzvorschriften quer: Knallrote Feuerlöscher finden sich neben uralten Akten, ein Ventilator bläst auf die Seiten einer antiken Bibel, und über meterhohen Quittungstürmen aus dem 18. Jahrhundert surren Neonröhren.
Die zumeist handschriftlich gefertigten Erinnerungsspeicher, einst ganzer Stolz der Päpste und Handelsleute, wirken nun hilflos wie blinde Tiere, die aus ihren Höhlen hervorgeholt worden sind. Andererseits hängt am Archiv weiter der Mythos eines universellen und fixierbaren Wissens, während im Internet längst alles fließt. Gerade das Spezialistentum hat Hall neben der „Majestät der Räume“ fasziniert: Damals mußten Scholastiker ihren Forschungsgegenstand genau definieren, um bei der Suche nicht zwischen Bergen an Information zu kapitulieren; heute hilft es, wenn man vage Begriffe in den Computer tippt und die Suchgruppe dem Zufall überläßt.
Bis 26.7., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Dogenhaus, Auguststraße 63
Die Vitrinen von Ursula Döbereiner und Katharina Schmidt am Alexanderplatz 4 sind schwer zu finden. Von der Weltzeituhr aus geht man Richtung Jannowitzbrücke, klettert dann flugs über die Umzäunung zur achtspurigen Grunerstraße und steht schließlich vor dem ehemaligen Haus des Lehrers, wo jetzt Umwelt-, Gesundheits- und Sportamt untergebracht sind. Die Ecke, in der Hans Kollhoff einmal die neuen Türme von Berlin bauen soll, sieht trostlos aus, und die Installation Topspeed macht es nicht besser.
In einer von drei Vitrinen liegen Schere, Klebstoff, Cutter und Wasserwaage aus; Werkzeuge, mit denen man aus dem beigelegten roten Bastelbogen den Hokkenheimring ausschneiden kann. Die Vorlage ist auf dem zum Verkauf angebotenen Faltblatt abgebildet, ansonsten lassen sich alle möglichen Rennstrecken aus den Elementen puzzeln (zusätzliche Geraden oder Kurvenschnipsel bitte unter 2790265 nachbestellen). Die Anweisungen von Döbereiner und Schmidt sind kurz und präzise, ihr Anliegen bleibt rätselhaft. Vielleicht ist der Bausatz ein später Ableger der Innenstadt-Aktionen, vielleicht haben auch bloß zwei schlaue Studentinnen am Fachbereich für Gestaltung eine Aufgabe zum Thema Urbanismus lösen müssen. Jetzt liegt das Material jedenfalls aus, die zweite Vitrine wurde mit dem Originalparcours bemalt, und in der dritten sieht man blaue Rallye-Quadrate. Schon steht man an der Alexanderstraße und wartet, bis die Ampel auf Grün umspringt. Die meisten Fußgänger benutzen ohnehin die Unterführung weiter hinten an der Karl- Marx-Allee.
Bis 13.7. Harald Fricke
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