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Lehrer in Hessen proben den Aufstand

Tausende Lehrerinnen und Lehrer gingen auf die Straße. Sie lehnen eine Arbeitszeitverlängerung ab. Der Kultusminister nennt den Streik einen „Amoklauf“  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Mehr als 10.000 Menschen haben gestern nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegen die hessische Bildungspolitik demonstriert. Ihr Protest richtete sich gegen die von Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD) verordnete Verlängerung der Arbeitszeit für GrundschullehrerInnen.

Ferner erklärten sie sich nicht mit dem neuen Schulgesetz der rot-grünen Regierungskoalition einverstanden. Sie fordern eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung und die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte.

Die in der GEW organisierten LehrerInnen zogen am Vormittag in Frankfurt in zwei Demonstrationszügen zu einer ersten Kundgebung auf dem Römerberg. Zu ihnen stießen am Nachmittag die Mitglieder anderer LehrerInnenorganisationen, die sich zwar mit den Streikzielen der GEW solidarisierten, jedoch das gesetzliche Streikverbot für Beamte respektieren wollten. Kultusminister Holzapfel nannte den Streik einen „Amoklauf gegen das Berufsbeamtentum“. Er sei „rechtswidrig“ und verletze die Rechte von Kindern und Eltern.

Den SchülerInnen kam der freie Tag sicher nicht ungelegen. Und ihre Eltern stehen ganz offensichtlich hinter dem protestierenden Schulpersonal. In Rüsselsheim hatten die Elternvertretungen aller Grundschulen zuvor beschlossen, die Kinder gestern nicht zur Schule zu schicken. In Frankfurt riefen sie zur Teilnahme an den Demonstrationen auf. In anderen Städten erwägen Eltern, die Landesregierung wegen „mangelhafter Lehrer- und Unterrichtsversorgung“ zu verklagen. Die Gewerkschaftspartei SPD und die Lehrerpartei Bündnis 90/Die Grünen stehen im Kreuzfeuer der GEW-Kritik.

In Rage gebracht hat die Lehrerschaft vor allem das von SPD und Bündnisgrünen beschlossene Modell der „Betreuungsgrundschule“. Grundschulkinder sollen schon ab dem neuen Schuljahr ohne Unterbrechung von 8 Uhr bis 13 Uhr betreut werden. Die LehrerInnen müssen dafür länger arbeiten. Spätestens bis zum Jahre 2003 sollen dann alle Grundschulen bis in den Nachmittag hinein geöffnet bleiben. „Für die Kinder wird dann mehr Zeit in der Schule da sein“, konstatierte die Sprecherin der Landtagsfraktion der hessischen Bündnisgrünen, Elke Cezanne. Um das hochgesteckte Ziel – mit Blick auf die leere Landeskasse – erreichen zu können, wurde auch eine neue Form der LehrerInnenarbeitszeit festgeschrieben. Die PädagogInnen an den Grundschulen sollen 26 Zeitstunden pro Woche in den Schulen anwesend sein, statt wie bislang nur 28 Schulstunden (21 Zeitstunden). Dafür werde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, einige „Hausarbeiten“ (wie die Unterrichtsvorbereitung) in dieser Zeit in der Schule erledigen zu können. Cezanne: „Wir wollten weg von dem 45-Minuten-System, das SchülerInnen und LehrerInnen auch in den Grundschulen in ein starres Konzept gepreßt hat.“ Die Grundschulen könnten selbst bestimmen, wie sie den Unterricht organisieren. In Grundschulen, die sich nicht in der Lage sehen, dieses Konzept schon zum neuen Schuljahr umzusetzen, werden die LehrerInnen generell eine Schulstunde länger arbeiten müssen. Ab dem Schuljahr 1998/99 soll die betreuende Grundschule mit den entsprechenden Arbeitszeitregelungen landesweit umgesetzt werden.

Da werde viel Arbeit auf die LehrerInnen in Hessen zukommen, räumte Cezanne ein. Die GEW verweist darauf, daß das Modell der Betreuungsgrundschule aufgrund der „mangelhaften Lehrerzuweisung“ nicht pädagogisch vertretbar zu realisieren sei. Schon heute zeichne sich ab, daß es trotz der Arbeitszeitverlängerung im kommenden Schuljahr zu „erheblichen Unterrichtsausfällen, steigenden Klassengrößen und Einschränkungen von Reformprojekten“ kommen werde, sagte Gonhild Gerecht. „Das ist Sparpolitik auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Lehrerinnen und Lehrer.“

Diesen Vorwurf will man im hessischen Kultusministerium nicht auf sich sitzen lassen. „Ich verkenne nicht, daß es Grenzen der Belastbarkeit gibt, die auszuschöpfen weder aus pädagogischer noch aus arbeitstechnischer Sicht sinnvoll sind“, sagte Holzapfel. „Dennoch halte ich die anstehenden Änderungen für vertretbar.“ Rund 3.000 neue LehrerInnen habe man in der vergangenen Legislaturperiode eingestellt. Bis zum Jahr 2000 würden die durch Pensionierung vakant werdenden LehrerInnenstellen neu besetzt und zusätzlich mehr als tausend Teilzeitstellen geschaffen.

Darüber hinaus sei die Arbeitszeit der über 55jährigen LehrerInnen durch die Kürzung der sogenannten Altersermäßigung (verringerte Unterrichtsstunden) verlängert worden, um den prognostizierten Anstieg der SchülerInnenzahlen von etwa 30.000 in den nächsten zwei Jahren bewältigen zu können.

Doch gerade die Kürzung der „Altersermäßigung“ mißfällt der GEW. Damit werde die Neueinstellung von NachwuchslehrerInnen sabotiert und Arbeitslosigkeit provoziert. 800 neue LehrerInnenstellen jährlich müßten her, sonst sei nicht nur die Betreuungsgrundschule nicht machbar; auch an allen anderen Schulen würden ansonsten die Klassen größer werden und die LehrerInnen mehr und länger arbeiten müssen.

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