piwik no script img

Die Karawane zieht weiter

■ Helmut Kohl hat zu Europa nicht mehr viel zu sagen

Eins plus eins ist zwei. Das muß noch mal klar und deutlich gesagt werden. Seit der Debatte zwischen Kohl und Stoiber weiß man ja schließlich nicht mehr, was man in diesem Land noch als selbstverständlich voraussetzen kann. Dreikommanullistdreikommanull steht gegen Dreikommanullkannauchdreikommazweisein. Die Globalisierung führt leider auch dazu, daß jahrhundertealte mathematische Grundsätze in Frage gestellt werden müssen. Kohl hat jetzt versucht, sich dem mit einem letzten Machtwort entgegenzustemmen: Er ist für die Null hinter dem Komma.

Das riecht nach einem neuen Satz des Pythagoras. Folgen für die Politik hat das alles keine. Das ist auch das Charakteristische an dem Streit zwischen Stoiber und Kohl. Was auch immer sie sagen – die Karawane zieht weiter, um ein Lieblingswort des Kanzlers zu zitieren. Deutschland wird das versprochene Defizitkriterium von 3,0 Prozent verfehlen, der Euro wird daran aber weder scheitern, noch wird er deswegen weich werden, Bayern bleibt Bayern, und die CSU bleibt weiter an der Macht. Also alles nur ein vorgezogenes Oktoberfest?

Stoibers Gerede von der punktgenauen Erfüllung der Stabilitätskriterien als alleinige Voraussetzung für einen harten Euro ist ökonomischer Unsinn. Aber auf welcher Mission die „machtgestählte Büroklammer“ (Klaus Harpprecht) Stoiber sich dabei auch immer gewähnt hat – die Rettung Bayerns, die Rettung der kleinen Leute oder nur die Rettung seiner Macht –, er hat das Dilemma des Kanzlers offenbart.

Europa ist für Helmut Kohl nur noch Projektionsfläche für seine letzte politische Idee. Da Kohl, noch nie ein Mann fürs Detail, die Idee nicht ausfüllen kann, klammert er sich an ihr fest. Er will keine Diskussion über Europa führen, weder mit Stoiber noch mit sonstwem. Er will Europa, sein Lebenswerk, vollenden. Die intellektuelle Lücke, die er dabei läßt, hat er bisher mit Selbstsicherheit gefüllt.

Aber wer läßt sich allein davon noch überzeugen? Kohl spürt diesen Verlust an Überzeugungskraft und greift zum letzten Mittel: Er pocht auf seine Richtlinienkompetenz. Ich bin kein Konsenskanzler! hat er gestern verzweifelt geschrien. Da kann man nur sagen: Dreikommanull ist Dreikommanull, und Konsenskanzler bleibt Konsenskanzler. Jens König

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen