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■ Die Entlassung des jüdischen Museumsdirektors Barzel zeigt: Deutsche und Juden leben, allen Gedenkritualen zum Trotz, in verschiedenen ErinnerungsweltenEin böses Possenspiel

Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: Washington, Paris oder London hätten sich entschlossen, jüdische Museen – oder auch nur eine „jüdische Abteilung“ eines Stadtmuseums – zu bauen. Die Konzeption dazu sowie den Gründungsdirektor würden sie selbst bestimmen, die jüdische Gemeinschaft würde daran nicht beteiligt. Es gäbe keinen Stiftungsrat, in dem Juden mitbestimmen dürften; statt dessen kontrolliert sich der Stiftungsrat aus Kultursenator und Museumsdirektor auch noch selbst.

Eine absurde Situation, eine schildbürgerartige Posse. Doch genau dies wird nun in Berlin vorgeführt. Darüber hinaus wurde Amnon Barzel, ein Israeli, nicht nur ohne Konsultation mit der Gemeinde gefeuert – sondern noch dazu am Tage, an dem sich der neue Vorstand der Jüdischen Gemeinde neu konstituierte, und nur Stunden vor einem geplanten Antrittsbesuch des neuen Vorstands bei Kultursenator Radunski. Vorschläge des frisch gewählten Gemeindevorsitzenden Nachama, wie dieser Konflikt sachlich entschärft werden könnte, wurden ignoriert. So flog Nachama die Kündigung Barzels ohne Vorwarnung auf den Tisch.

Das alles wäre in London, Paris oder Washington undenkbar. Jüdische Museen (oder ähnliche Institutionen) wurden dort von der jüdischen Gemeinschaft und nicht von Kultursenatoren gebaut, allenfalls in Konsultation mit der Stadt. Und so sollte es ja auch sein.

In Berlin freilich sind diese Absurditäten möglich: So sagt uns hier ein deutscher Museumsdirektor, Reiner Güntzer, wie ein Museum in echtem jüdischem Geist auszusehen habe. Zudem präsentiert sich Güntzer, Barzels Gegenspieler, auch noch als selbsternannter Erbverwalter des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski. Daß er eine Ausstellung über den „deutschen Patrioten Heinz Galinski“ (Güntzer) plant, läßt einiges ahnen. Wie sich Güntzer die jüdische Beteiligung vorstellt, verriet er der Berliner Morgenpost: Bei „allem Respekt vor der Sonderstellung der Jüdischen Gemeinde“ könne „sie keine Rechte einfordern, die ihr nicht zustehen“. Denn „wir spiegeln auch die christliche Geschichte Berlins wider, da müßten wir auch die beiden Bischöfe einbeziehen oder die Gewerkschaften zur Arbeitergeschichte“. Der Kultursenator und sein Museumsmann meinen also, sie besäßen nicht nur das Monopol der „Widerspiegelung“ der Berliner Geschichte, proporzmäßig verteilt zwischen Religionen und Gewerkschaften, sondern auch das Deutungsmonopol über jüdische Geschichte. Und der jüdischen Gemeinschaft, heißt das doch im Klartext, steht das Recht der Selbstdarstellung in einem städtischen jüdischen Museum offenbar nicht zu.

Man wird den Eindruck nicht los, der Senat wünsche sich eine traute jüdische Folklore-Abteilung eines Stadtmuseums mit vielen Chanukka-Leuchtern, Gebetsmänteln, Thora-Rollen und anderen frommen Dingen. Demgegenüber haben die hiesigen jüdischen Ausstellungs- und Museumsmacher, eben auch Amnon Barzel, ein ganz anderes Konzept: Bei ihnen geht es nicht so sehr um eine Sicht von der Umwelt auf die Juden, sondern um eine jüdische Sicht auf die Umwelt, eine Darstellung der kulturellen Vielfalt jüdischen Lebens aus jüdischer Perspektive.

Aber die deutsche Deutungsmacht über jüdische Geschichte ist im Berliner Museumsstreit nicht die einzige Absurdität. Denn zu diesem heutigen Streit konnte es nur kommen, weil Museumsdirektor Güntzer auf die geniale Idee gekommen war, den Anbau an das Berlin-Museum als einen jüdischen Anbau zu deklarieren, um durch dieses jüdische „Gleitmittel“, wie er dies verschiedentlich genannt hat, Geld im Abgeordnetenhaus loszueisen. Als dann das Geld geflossen war und das Gebäude, der Libeskind-Anbau, stand, entpuppte er sich als ein Gebäude voll jüdischer Symbolik und Erinnerung an den Holocaust. So ist der Libeskind-Bau ein Gebäude, in dem nur ein Museum mit dominant jüdischer Thematik möglich ist (was freilich eine Integration dieser Geschichte mit der Umwelt nicht ausschließt). In diesem Bau, dessen Architektur die Zerrissenheit und Zerstörung des deutschen Judentums spiegelt, kann man kaum das brandenburgische Landleben und christlich geprägte Kulturgüter ansiedeln – und die „jüdische Abteilung“ in irgendeine Ecke stecken. Daß dieser Etikettenschwindel nicht ohne Probleme durchzuziehen ist, müßte längst klargeworden sein. Der Senator schenkt den Juden kein Museum.

Dieser Konflikt legt präzise den Stand der deutsch-jüdischen Beziehungen bloß. Er zeigt, wie dünn die Decke der Gedenkrituale nicht nur in Berlin ist; er zeigt, wie die Juden zur Manövriermasse deutscher Innen- und Außenpolitik geworden sind. Von deutscher Seite, etwa Joachim Nawrocki in der Zeit, wird nun aufgerechnet, was die Stadt Berlin für die Juden alles getan hat: Haus der Wannseekonferenz, Centrum Judaicum, Stiftung Topographie des Terrors und anderes mehr. Ja, was wollen sie denn noch?

Dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde drängte sich nach Barzels Entlassung „der traurige Vergleich mit der finsteren Zeit zwischen 1933 und 1938“ auf, als jüdische Museumsdirektoren aus ihren Ämtern flogen. Der Senat reagiert heftig, die Gemeinde solle diese Äußerung sofort zurückzunehmen. Vielleicht aus Angst vor seiner eigenen Courage hat der Vorstand die Bemerkung nachträglich zu einer „sachlichen Feststellung“ abgeschwächt. Berlins Obere wollen nicht mit Nazis gleichgesetzt werden – zu Recht.

Doch das hat auch niemand versucht. Von jüdischer Seite drängen sich böse Erinnerungen hingegen notwendig auf: Wenn es um ein von deutscher Seite kontrolliertes jüdisches Museum geht – wem fällt da nicht das „Zentralmuseum für jüdische Altertümer in Prag“ ein, das die Nazis als Andenken an eine „verschwundene Rasse“ zu bauen planten?

So türmt sich eine Mauer wechselseitigen Unverständnisses auf. Juden und nichtjüdische Deutsche leben in verschiedenen Erinnerungswelten. Das Mißtrauen und die Antagonismen, die dieser Museumsstreit zutage förderte, lassen sich nicht übertünchen. Daran ändern auch alle periodisch praktizierten Versöhnungsrituale und Mahnmale nichts. Michal Bodemann

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