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Bomben, Suff, Opium und die große Verzweiflung

■ Michael Langford war ein berühmter Journalist in Südostasien und verschwand 1975 in Kambodscha. Christopher Koch hat sein kurzes Leben rekonstruiert

Um die Figur des Kriegsberichterstatters rangen sich Mythen, zweifellos ein Phänomen des Fernsehzeitalters und damit des 20. Jahrhunderts. Wir erinnern uns an Peter Arnett von CNN, berühmt geworden im Golfkrieg, und Friedhelm Brebeck, den wir seit dem Bosnienkrieg vor Augen und vor allem in den Ohren haben. Um diese Männer, die von einem Kriegsschauplatz zum nächsten hetzen, ist eine merkwürdige Aura von aussterbender Männlichkeit, Suchtverhalten und Intensität – und es gibt wunderbare Filme, nicht zuletzt den australischen „Ein Jahr in der Hölle“ von Pete Weir, der diese Mischung aus Leidenschaft und Langeweile, Abenteurertum, Alkoholismus und Zynismus hervorragend wiedergab.

Die längste Gelegenheit für Journalisten, sich nicht als Soldaten, aber doch in Grenzsituationen zu beweisen, boten der Vietnamkrieg und der Konflikt in Kambodscha, Thema eines ganz ausgezeichneten, vor kurzem erschienen dokumentarischen Buches.

Ein Rechtsanwalt in Launceston, einer kleinen Stadt auf der Insel Tasmanien, bekommt Ende der siebziger Jahre die Nachricht, daß sein Jugendfreund Mike Langford im mörderischen Kambodscha Pol Pots verschwunden und sehr wahrscheinlich von den Roten Khmer umgebracht wurde. Mit Hilfe von Langfords Tonbandaufzeichnungen, die in dem Buch einen großen Raum einnehmen, seinen Filmen, Fotos und Gesprächen mit Freunden und Kollegen recherchiert dieser Rechtsanwalt das Leben eines berühmt gewordenen Fernseh- und Fotoreporters in Indochina von 1965 bis 1976, der einst als Sohn eines Hopfenfarmers in Tasmanien aufgewachsen war. Durch die Recherchen des Rechtsanwaltes hindurch zieht sich die Ungläubigkeit aller, den Tod jenes besonderen Mannes hinzunehmen, der immer ein bißchen anders als alle anderen war, immer ein bißchen risikobereiter, menschlicher, einsamer; einer der parteilich war für die Opfer des Krieges, für die bettelnden Flüchtlingskinder und die Frauen, die sich an amerikanische Soldaten prostituieren mußten, wenn sie nicht untergehen wollten.

Die Geschichte beginnt in Singapur 1965 – in einer Zeit, in der es das alte, koloniale Asien von Somerset Maugham noch gab, bevor es von gläsernen Einkaufspalästen, Designer-Jeans im Sonderangebot und japanischer High-Tech versaut wurde. Mike Langford ist so glücklich wie noch nie in seinem Leben, obwohl er ohne Aufträge und ohne Geld krank in einer Kaschemme lebt. Er kennt die Gepflogenheiten der Auslandskorrespondeten noch nicht und unterhält sich in den einschlägigen Hotelbars lieber mit Pferdejockeys als mit Journalisten, lernt aber dort Jim Feng kennen, einen chinesischen Kameramann aus Hongkong, der ihm nicht nur einen Job, sondern auch den Arbeitsplatz Saigon, Südvietnam, anbietet.

In Singapur trifft Langford außerdem zwei undurchsichtige, scheinbar hilfsbereite Angehörige der australischen Botschaft – wie sich hinterher rausstellt –, Geheimdienstagenten, die den unerfahrenen Bildreporter hier und da um ein paar Informationen angehen. Von ihnen bekommt er die Adresse einer Frau in Saigon, die alles und jeden kennt, und damit beginnt die eigentliche und unglaublich spannende Geschichte des intensiven und kurzen Lebens unter dramatischen Umständen in Vietnam und im untergehenden alten Kambodscha.

Mit Jim Feng und Dimitri Wolkow, einem abgewichsten russischen Aristokraten mit französischem Paß, der für CBS arbeitet, bildet er fortan ein Team, das von den Kollegen auch gern als „die drei Musketiere“ betitelt wird. Sie betrinken sich zusammen, konkurrieren gegeneinander um die schnellsten Exklusivberichte vom Kampfgeschehen an der südvietnamesischen, amerikanischen und später nordvietnamesischen und kambodschanischen Front, fallen anschließend in die Opiumhöhlen von Saigon oder Phnom Penh, um das Geschehene zu vergessen, und wissen doch, daß sie für das normale Leben nicht mehr tauglich sind. Denn wie sollen sie das Chaos einer Schlacht denjenigen schildern, die nie eine erlebt haben. Oder, wie Wolkow sagt: „Egal, wer gewinnt oder verliert; schließlich ist das nicht unser Problem – wir drehen gern die Bumbum-Geschichten.“

Als die drei bei einem Dreh in Vietcong-Gefangenschaft geraten, relativiert sich diese Vereinfachung, die natürlich mehr als das Bumbum meint. Es geht um das Davonlaufen vor der Langeweile, es geht darum, daß beim Kampf alles wichtig wird. Daß jede Kleinigkeit so deutlich wird, als sähe man sie wie ein Kind zum ersten Mal. Um dieses Zusammengehörigkeitsgefühl mit jenen, die um einen sind, in denen man nur das Beste sehen will und kann, weil das eigene Leben davon abhängt.

Christopher Koch ist es auf wirklich gefangennehmende Weise gelungen, alle möglichen Facetten dieser Zeit einzufangen: die faszinierende Schönheit Indochinas und seiner Menschen; seine Zerstörung durch zerstörte Menschen und zynische Weltpolitik; der Pulsschlag der sechziger und siebziger Jahre mit ihrer Musik, ihren Drogen, die Aura eines Lebens voll Action, Gelächter und Exzessen; und die ganz besondere Existenz jener verlorenen Seelen, die von einem Kriegsschauplatz zum nächsten müssen, weil sie der Gedanke an ein totes Leben mehr schreckt als der Tod. Kochs Beschreibungen der Besäufnisse und Diskussionen, der Bordelle, Opiumhäuser und nicht zuletzt der Schlachtfelder – eines der stärksten Kapitel ist die tagelange Wanderung des Musketiertrios als Vietcong-Gefangene in deren unterirdische Kommandozentrale –, ihrer Verzweiflung und auch ihrer Freuden, gehören mit zum Besten und Genauesten, was man über diese Zeit und diese spezielle Situation lesen kann. Renée Zucker

Christopher J. Koch „Das Verschwinden des Michael Langford“. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1997, 525 Seiten, 44 DM

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