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■ Beim Trauerzug für Miguel Angel Blanco, der von der baskischen Terrororganisation ETA ermordet wurde, ließen die Einwohner der nordspanischen Stadt Ermua ihren Emotionen freien Lauf. Sie machen sich Mut, der ETA die Stirn zu bieten."Die

Beim Trauerzug für Miguel Angel Blanco, der von der baskischen Terrororganisation ETA ermordet wurde, ließen die Einwohner der nordspanischen Stadt Ermua ihren Emotionen freien Lauf. Sie machen sich Mut, der ETA die Stirn zu bieten.

„Die gehören an die Wand gestellt“

„Miguel!“ schreien die Menschen, die hinter dem Sarg des ermordeten Ratsherren zum Friedhof von Ermua ziehen. Dazu schlagen sie alle gemeinsam rhythmisch in die Hände. Anschließend reißen sie die Arme über den Kopf und drehen die Handflächen nach außen – zum Beweis, daß kein Blut an ihnen klebt.

Viele sind heiser, weil sie schon seit vergangenem Donnerstag demonstrieren. Während der ersten 48 Stunden hofften sie, mit ihrem Engagement das Leben des entführten Miguel Angel Blanco retten zu können. Seit Samstag wollen sie zumindest ihre Entschlossenheit gegen die ETA zeigen, die dem 29jährigen nach Ablauf ihres Ultimatums (Zusammenlegung ihrer über ganz Spanien verteilten Gefangenen in einem baskischen Gefängnis) zwei Kugeln in den Kopf schoß und ihn mit einem allerletzten Rest von Leben am Rand einer Eisenbahnstrecke liegenließ.

Jetzt, da sie Blanco unter einem feinen Nieselregen sein letztes Geleit geben, schwören viele in Ermua Rache. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, sagt ein Arbeiter, der der sozialistischen PSOE angehört. „Kopf ab“, verlangt ein 39jähriger Angestellter, der seinen Namen nicht nennen will, „weil die mir sonst vielleicht auch eine Kugel in den Nacken schießen“. „Kerker bei Brot und Wasser“, fordert ein 74jähriger Rentner für alle Etarras und versteht das noch als sanfte Behandlung, „weil andere Mittel in der Demokratie heute nicht mehr zugelassen sind“.

Das in ein schmales, dichtbewaldetes Tal im Osten von Bilbao gezwängte Ermua ist in Aufruhr. Nie zuvor hat das in wenigen Jahrzehnten von 5.000 auf 14.000 Einwohner angewachsene Dorf mit Immigranten aus ganz Spanien eine solche Mobilisierung erlebt. Auf den Balkons der sechs- und achtstöckigen Mietskasernen sind weiße Bettücher mit schwarzen Schleifen gespannt. Während ganz Spanien zehn Minuten und das Baskenland an diesem Montag eine Stunde lang in Trauer streikt, steht Ermua für 24 Stunden still. An den Hausfassaden kleben Fotos von Miguel Angel Blanco mit dem Satz: „Du wirst in unserem Herzen bleiben“. Direkt daneben prangen seit dem Wochenende Aufrufe zum Boykott von Läden, deren Eigentümer mit der Herri Batasuna (HB), dem politischen Arm der ETA, sympathisieren. „Wir sind viele, das sind wenige. Wenn wir entschlossen sind, machen wir die fertig.“

Der Versicherungsangstellte Blanco war ein unbeschriebenes Blatt. Ein junger Mann, mit dem in Ermua jeder gern ein Glas Rioja trank und den alle als „netten Kerl ohne Geschichten“ bezeichnen. Erst vor zwei Jahren, als er sich in den von den Sozialisten majorisierten Gemeinderat wählen ließ, war er der konservativen Partei Partido Popular beigetreten. Seither war er in dem Dorf, in dem seit der Abwanderung und Schließung vieler Fabriken viele arbeitslos sind, verantwortlich für Sport und Kultur. Er war Schlagzeuger, spielte in der Band mit dem Namen Adiskideak (Freunde), wohnte bei seinen vor Jahrzehnten aus Galicien ins Baskenland eingewanderten Eltern, hatte eine Braut und wollte im Herbst heiraten.

„Er war einer wie alle hier“, sagt ein 28jähriger, der gemeinsam mit Blanco in Bilbao Wirtschaft studiert hat. „Es hätte jeden treffen können“, sagt die Arbeiterin, deren Bruder auch einmal im Gemeinderat war. „Miguel war ein einfaches Opfer“, sagt ein Kollege des Ermordeten, „er war unbekannt, unbewaffnet, unbegleitet. Es war ein Kinderspiel, ihn zu entführen.“

Was am vergangenen Donnerstag zwischen 14 und 16 Uhr, als Blanco mit der Straßenbahn von seiner Wohnung in Ermua zu seiner Arbeit in dem drei Kilometer entfernten Eibar fuhr, genau passierte, ist bis heute nicht bekannt. Die Organisation, die am ehesten darüber Bescheid wissen dürfte, hüllt sich in Schweigen. Kein Verantwortlicher von Herri Batasuna hat sich zu dem Verbrechen geäußert. Keiner hat es verurteilt – weder ihre Abgeordneten im baskischen noch die im Madrider Parlament. Der einzige Ratsherr von Herri Batasuna in Ermua hat sich seit der Ermordung von Blanco nicht mehr blicken lassen. Das Lokal seiner Organisation an der Travesia Erdikokalea Zeharbidea Nr. 4 in Ermua ist ausgebrannt, nachdem eine aufgebrachte Menschenmenge dort am Samstag abend, wenige Stunden nach Bekanntwerden des Mordes, Feuer gelegt hat. „Recht so“, sagt ein Ladenbesitzer, „bloß schade, daß die Mitglieder von Herri Batasuna nicht gleich mit verbrannt sind.“ „Die gehören alle an die Wand gestellt“, stößt sein Kollege ins gleiche Horn, „auch der harte Kern ihrer Wähler.“ Ein Elektriker im Trauerzug erklärt, „wenn heute einer von denen auf die Straße käme, würde die Menge ihn lynchen. Niemand hätte etwas dagegen.“ Eine Hausfrau ruft: „ETA – Mörder.“ Ihre Nachbarin erklärt, „das baskische Volk sind wir, nicht die“.

Die komplette politische, gewerkschaftliche, militärische und religiöse Spitze des Baskenlandes sowie der gegenwärtige konservative spanische Präsident Aznar und seine drei Vorgänger sowie Kronprinz Felipe sind am Morgen durch das Spalier der Trauer tragenden Menschen von Ermua zu der Santiago-Kirche gegangen, wo Punkt 12 Uhr die Trauermesse für Blanco beginnt. Den stärksten Beifall der Menge bekommt der Innenminister aus Madrid, „weil das ein echter Kerl ist, der sich von der ETA nicht einschüchtern läßt“, erklärt ein Lehrer.

Bei der Trauermesse warnt der Bischof von Bilbao vor Rache und Haß und fordert zu „gemeinsamer Arbeit für den Frieden“ auf. Mitglieder der Friedensgruppe Gesto Por la Paz, die schon seit langem jeden Montag abend gegen die Gewalt im Baskenland demonstriert, laden für diesen Montag abend erneut zu 15 Schweigeminuten auf den zentralen Pelota-Platz in Ermua ein. Eine junge Frau im Trauerzug sagt nachdenklich: „Es wird schlimm werden hier. Das kann nicht gutgehen.“ Dorothea Hahn, Ermua

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