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Irgendwie bedröhnt

Das Wasser bis zum Hals, das Glas in der Hand und die Bank im Nacken: Heute vor zehn Jahren starb „unser Bukowski“, der E- und U-Gipfelstürmer Jörg Fauser  ■ Von Benjamin von Stuckrad-Barre

Ten years after. Da darf das alte Lied vom Rotlichtpoeten, vom Junkie und Trinker, vom Cut-up- Epigonen, E- und U-Gipfelstürmer, Song- und Schneemannschreiber mal wieder aus Leibeskräften gesungen werden, das alte Lied vom deutschen Bukowski, vom deutschen Verfasser amerikanischster Kriminalromane. Und dann wird erzählt, wie er – fast wie in einer seiner Geschichten – an seinem 43. Geburtstag, nach selbstredend feuchtfröhlichem Feiern, im – logisch – Morgengrauen überfahren wurde, draußen vor der Stadt. Feucht und fröhlich allerdings ist eine Assoziation, die nur Gelegenheitstrinkern einfallen kann. Fauser war diesbezüglich Profi – nicht fröhlich also.

Wenn jemand tot ist, ist er schnell ein Mythos. 1987: Die Nachrufer kübeln Pathos. Die Vernünftigen übertreiben ein bißchen, manche sehen gleich ganz schwarz für die Gegenwartsliteratur. Fauser konnte für sich zumindest eines reklamieren: Er wurde gelesen. Verstanden gewiß nicht immer. Zwar bezog er deutlich Stellung aus einer Ecke und einem Milieu, eben von dort, wo er sich auskannte – den vielzitierten Bars, Spelunken, Hinterhöfen und Stehausschänken: Orte, die Klischees anlocken wie Scheiße die Fliegen. Aber wenn er über die Menschen dort schrieb, ging es ihm nicht darum, ihr Außenseitertum abzuhandeln. Er sah in ihnen Durchschnittsexistenzen, deren Dasein „man vielleicht als FAZ-Leser als Außenseitertum betrachten kann, aber für meinen Geschmack nicht“. Was zunächst wie beliebige Polemik erscheint, verifizierte sich im FAZ-Nachruf aufs schönste: „Geschichten aus den unwirtlichen Winkeln, dem zwielichtigen Untergrund unserer Gesellschaft“, wurden ihm dort wohlmeinend unterstellt. Seine Figuren hätten „alle den Anschluß an die große Welt versäumt und es noch nicht gemerkt“. Was aber ist die große Welt? Und was ist dann die kleine? Und erst recht: Sind diese beiden Welten tatsächlich separat voneinander verstehbar?

Wie einfach war es doch, Fauser als den Gossenpoeten mit besonderem Unterhaltungswert fürs Bürgertum abzuheften. So konnte es passieren, daß die Rezensenten nebenbei mal kurz Kokain und Heroin verwechselten, nicht wissend, daß Fauser genau das ausmachte: Der Selbstversuch ging bei ihm an allerlei Grenzen, seine Recherchen hätten einen solchen krimigewöhnlichen Lapsus niemals durchgehen lassen. 5 Kilo Koks und 5 Kilo Heroin sind schon ein Unterschied, das ist nicht einfach nur Lieschen Müllers Währung für Wahnsinn und jede Menge Ärger. Es legt darüber hinaus manche Koordinate fest – Rauschamplitude und -Intention, Kontaktpersonen und Ort der Handlung. Den Nachrufern war's egal: Unser Bukowski, irgendwie bedröhnt, erlebter Untergrund, Dreck.

Vornehmlich Männer schrieben über Fauser, und er schrieb nur über Männer – das Wasser bis zum Hals, das Glas in der Hand und die Bank im Nacken. „Das ist die einzige Welt, die ich kenne“, erklärte er einmal, warum seine Frauenrollen nur als Reflektoren zur genaueren Definition der männlichen Charaktere taugen.

Im autobiographischen „Rohstoff“ schrieb er Letztgültiges zu Motivation und Drama des Schreibenden. Früh schon sei ihm klar gewesen, daß der Beruf des Schriftstellers „der einzige war, in dem ich meine Apathie ausleben und vielleicht dennoch aus meinem Leben etwas machen konnte“. Aber es war sein Dilemma, schreiben zu wollen, weil er gebannt war von der Kraft seiner Vorbilder: „Allerdings waren die guten Bücher schon alle geschrieben, sie standen in Buchhandlungen oder den eigenen Regalen, und so geriet ich zwangsläufig unter den Einfluß solcher Lebenskünstler wie Henry Miller oder Kerouac.“ Mit allen Konsequenzen. Rauschmittel jedweder Art dienten ihm zunächst zur Flucht, später zur Fortbewegung, dann zu kontrollierten Ausflügen – also die klassische Drogenkarriere: „Wer das braucht, kann nicht sehr gut sein.“ Schreiben mußte man auch ohne können. Man mußte ohnehin. Fauser hatte sich Bukowskis lakonische Definition gut gemerkt: „Du entscheidest dich nicht für diesen Beruf – es ist genau umgekehrt.“

Da lagen die Würfel und die Scherben, und los ging's. Da waren der Ärger, der Schwachsinn, die Frauen, die Drogen, (die Revolution nicht so recht) und die Vorbilder: Fausers Frühwerk ist stark geprägt von bemühten Cut-up-Versuchen. Weder eigenständig, woher auch, noch besonders clever kopiert; Fausers Devise führte über rauhe Bahn: „Die Technik kam dann schon, wenn man es nur ernsthaft genug mit dem Schreiben versuchte.“

Ernsthaft schreiben hieß für ihn auch, bedingungslos alle Fehler seiner Götter zu wiederholen – Learning by dying, beinahe. Vorbilder im eigenen Land waren rar, die raumgreifende Gruppe 47 fand Fauser „nicht innovativ“ und damit wertlos. „Unser Lebensgefühl war von Amerika geprägt“, erzählte Fauser in einem seltenen, sentimentalen Those-were-the- days-Bericht. Doch war dies Amerika zunächst rein hypothetisch: eine Projektion, genährt aus dem Werk der Beatniks und ein schlichter Gegenentwurf zur drögen Heimat. Die lernte Fauser in Frankfurt, der Stadt des beständigen Untergangs, kennen und verstehen: „Wenn schon alles zum Kotzen war, hier zeigte man wenigstens offen, welche Kotze zählte.“

Ein Stadtmensch allenthalben. In „Rohstoff“ kokettiert Fauser nicht übermäßig beim Loblied auf die Großstadt: „Kaum ein halber Tag auf dem Land, und schon hatte man Sehnsucht nach den Gleisen, den Stellwerken, dem Togal-Schild über den abgestellten Zügen, (...) dem Gesicht der Masse, in der man verschwinden konnte, um sein eigenes Gesicht zu wahren.“ Dann gehen Fauser und sein Held eine Rindswurst essen. So war das. Später reicht das Geld nicht für die Zeche. „Mit einer Boutique verdient man sicher besser. Aber ich wollte immer schreiben. Und wenn man's dann allmählich in den Griff bekommt, weiß man, warum man es macht.“ Und vor allem wie. Das Klischee vom einsamen, eigenbrötlerischen Dichter erzürnte Fauser immer. „Teilhabe an der Welt, das ist schon schöner“, befand er sarkastisch, als ob es da eine Alternative gäbe. Schreiben findet meistens im Kämmerlein statt, aber drumherum rief das Leben, und Fauser brüllte zurück. Doch ohne Ruhe beim Reagieren und Verarbeiten ging's nicht: „und du bist nicht da / und wenn du da wärst / könnte ich das nicht / schreiben.“

Warum nun ausgerechnet ein Lkw das beendete, was Fauser recht moralisch nicht nur als bloßes Überleben, sondern auch als das „Einhalten bestimmter Spielregeln“ galt, das ist mal wieder ein Treppenwitz, den keiner versteht. Suff und Junk und Land haben eifrig an ihm gezerrt, und dann kam der Lkw. Einfach so. Wumms. Sein gern zitierter „großer Bang mit allen Stempeln“ war das sicher nicht.

Es ist natürlich die Frage, wie und ob man einen Todestag begeht. Man kann pathetisch ein Glas erheben, oder besser gleich eine Flasche. „Der eine verträgt einen Löffel Rohopium, und der andere fällt um, wenn er gegen Pocken geimpft wird“, hat William S. Burroughs zu Fauser gesagt. Angeblich.

Lieferbare Bücher von Jörg Fauser:

„Rohstoff“. Ullstein, Berlin 1997, 14,90 DM

„Das Schlangenmaul“. Ullstein 1997, 14,90 DM

„Der Schneemann“. DTV, München 1996, 16,80 DM

„Jörg Fauser Edition. Gedichte“. Herausgegeben von Carl Weissner. Rogner & Bernhard, Hamburg 1990, 20 DM

„Das leise lächelnde Nein und andere Texte. Ergänzungsband“. Rogner & Bernhard, Hamburg 1994, 29 DM

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