: Das Grinsen im großen ganzen
■ Da und da verstrahlt, ein Wahnsinn: Das E-Werk, Relikt der Techno-Gründerzeit und Deutschlands bekannteste Disko, macht für unbestimmte Zeit zu. Ein Nachruf
Das E-Werk macht zu. Eigentlich müßte man nun über vergangene Techno-Parties berichten, was einerseits kompliziert, auf der anderen Seite aber auch wieder recht einfach ist. In seinem Zeit- Magazin-Text zur Love Parade (den die sechzigjährige Mutter einer Freundin ihr geschickt hatte, weil sie ihn so toll fand) lieferte der Schriftsteller Rainald Goetz eine Art Grundtext des Erzählens über tolle Erlebnisse in der Techno-Welt: „Wichtig: Der und der hat da und da so und so gespielt, und alle wären dagewesen. – Ist ja geil. – Dann wäre man später noch dorthin gegangen und da und da hingefahren, da wäre man schon so und so draufgewesen, und die Musik so und so. – Toll. – Und man wäre dann irgendwo gelandet, mit dem und dem und der und der, und da hätte man dann noch das und das gemacht, bis dann und dann. Und erst dann und dann wäre man so und so verstrahlt, verpeilt, endfertig und hochgradig verstört daheim gewesen. – Ein Wahnsinn.“ So ähnlich ging es vielen in den vier Jahren, in denen das E-Werk zur bekanntesten Techno-Diskothek Deutschlands wurde. Auch der Begriff „verstrahlt“ begegnete mir zum ersten Mal irgendwann im E-Werk, als eine neue Bekannte, die jenseits der Wochenenden auf dem Bau arbeitet, nebenher bemerkte, sie wäre also momentan gerade hochgradig verstrahlt. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, daß sie damit die LSD-Wirkung meinte, die in ihrem Kopf allerlei Unsinn anstellte. „Verstrahlt“ war ein prima Wort und verband die Drogenkontaminierungen mit dem Grinsen der Acid-Smileys und gab dem Ganzen dazu noch eine irgendwie antialternative, leicht selbstzynische Note. Daß im „E-Werk“ eher Bier, Hasch, E's und Speed dominierten, sei nur nebenher gesagt und ist auch nicht so wichtig.
Jedenfalls schließt das E-Werk seine Pforten. Das heißt, so ganz eigentlich doch nicht: Die vier Geschäftsführer der Werbe- und Veranstaltungs-GmbH planetcom, die das E-Werk betreiben, die Love Parade organisieren, sind grad dabei, ein Info-Terminal für die Marketing-Agentur „Partner für Berlin“ zu bauen, PR fürs schwullesbische Stadtfest zu machen usw. usf.; Ralf Regitz, Hille Saul, Lee Waters und Andreas Rossmann jedenfalls brauchten eine „kreative Pause“, erzählt Thomas Brunk, der E- Werk-Pressesprecher. Auf dem nur teilweise genutzten Gelände, das der Bewag gehört, mit der man prima zusammenarbeite, wolle man nun mit Umbauarbeiten beginnen. „Weitergehende Nutzungen“ sind avisiert; ein kleinerer Club ist in Planung.
In der Selbstdarstellung aus dem Krisensommer 95, als es den E-Werk-Betreibern eigentlich nur mit Hilfe einer klugen Medienkampagne gelang, die Kündigung durch die damalige Verwalterin, die Treuhandnachfolgerin TLG, abzuwenden, war man noch deutlicher: „Mittelfristig ist geplant, die Aktivitäten im Rahmen eines Kultur- und Technologiezentrums fortzuführen – als Anziehungs- und Faszinationspunkt für Berlin“ heißt es da; von „Green-, Cybertech- und einem Kommunikationslabor aus Innovation, Kommunikation und Emotion“ war die Rede.
Irgendwie geht wohl die Berliner Techno-Gründerzeit in Ruinen zu Ende: die Twirl-Halle, in der sich die Schwulen- mit der Techno-Szene zuweilen recht schön verband, wird es in dieser Form nicht mehr geben. Wo vor ein paar Jahren noch sechs größere und kleinere Clubs (WMF, Bunker, Elektro, Friseur, E-Werk und Tresor) das Techno-Zentrum Berlins bildeten, gibt es dann erst mal nur noch den „Tresor“.
So wird man dann doch ein bißchen melancholisch und denkt zurück: an Leute, die man am allerwenigsten im E-Werk erwartet hatte, und dann traf man sie doch plötzlich; an Dresdner Bekannte, die allwöchentlich seit zwei Jahren kamen und jetzt nicht mehr wissen, was sie mit ihren Wochenenden anfangen sollen; an die Parties auf dem E-Werk-Parkplatz, die die Love Parade am Montag zu beschließen und einen mit den zwei letzten Paraden zu versöhnen pflegten; an Leute, die sich schüchtern-emphatisch beim DJ für prima Musik bedankten; an den großartigen Woody, dem bei seinen Sets gerne Joints rübergereicht wurden und dem das Publikum vor ein paar Wochen ein „Happy birthday, lieber Woody“, vorsang, was irgendwie sehr rührend klang. Die E-Werker berichten noch von Holländern, die mal anfragten, ob sie einen Lachgasstand eröffnen dürften. Und am sympathischsten ist eigentlich die Toilettenfrau, die die letzten, seltsamerweise meist recht frisch aussehenden Gäste mit lustigen Scherzen zu verabschieden pflegte.
Natürlich gab es auch – hier, wie im „Tresor“ – allerlei alltägliche Ermüdungserscheinungen: die Langeweile, die entsteht, wenn zu viele zu routiniert, als wär's Arbeit, ihren allwöchentlichen Exzessen nachgehen, berühmte DJs, die angeödet enttäuschten, und solche Sachen. Ein bißchen fürchtet man auch, daß sich die bislang halbwegs zivilen Eintrittspreise internationalem Niveau anpassen werden und das „E-Werk 2000“-Publikum schicker sein wird. Bei den drei Abschlußparties, die ab Donnerstag im E-Werk beginnen, vergißt man das dann. Nicht nur wegen der DJs, die auflegen, sondern vor allem, weil das Publikum an derlei Festtagen klasse zu sein pflegt.
Das erste „Event“ der Post-E- Werk-Ära ist übrigens schon angekündigt: Ab 9. August gibt es den Don Giovanni mit „Rave Choreographien“ und „Technovariationen einiger Passagen der Oper“. Detlef Kuhlbrodt
Heute bis Samstag: Twirl Out im E-Werk, Wilhelmstraße 43 (Do. mit Westbam, Tom Clark u.a.;
Fr.: Dr. Motte, Mitja Prinz, Jonzon, Dole, Sa.: Woody, Clé, Terry Mullen, Steve Bug).
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