: Im Club zum guten Endzweck
Erst die Arbeit und dann der Film. Die Metallgewerkschaften und das Kino sind etwa gleich alt: Wir sehen eine Verbindung! Der Wandel der Wirtschaft und seine Resonanz auf diversen Filmfestivals und verwandten „Projekten“ ■ Von Helmut Höge
Vorbild Emden, wo die Unternehmervereinigungen im „Club zum guten Endzweck“ domizilieren und man noch jedem Asylanten eine anständige Wohnung zur Verfügung gestellt hat! Das Filmfest in Emden wird vom 2.500 Mitglieder starken Filmclub der Volkshochschule getragen und ist im besten Sinne des Wortes ein „Publikumsfestival“. Zu den Besonderheiten gehören die Eröffnungs- und Preisverleihungsreden des Emdener Oberbürgermeisters Alwin Brinkmann. Der ehemalige Werftarbeiter versäumt es dabei nicht, an die jeweils aktuelle Situation der arbeitenden Klasse beziehungsweise der Arbeitslosen in der Region zu erinnern und bei dieser Gelegenheit alle anwesenden Gewerkschaftsführer namentlich zu begrüßen. In diesem Jahr knüpfte seine Rede überdies bruchlos an die Thematik des englischen Eröffnungsfilms „Brassed-Off“ an, in dem es um die Existenzgefährdungen des Bergarbeiter-Blasorchesters einer Zeche in Yorkshire geht, die – globalisierungsbedingt – geschlossen werden soll. „Brassed- Off“ scheut dabei nicht vor einem Plädoyer für New Labour zurück – und bekam dafür in Emden, wo es eine Dauerarbeitslosigkeit von 20 Prozent gibt und die Sozialdemokraten seit dem Zweiten Weltkrieg satte 65 Prozent halten, den 1.Preis: eine vom Ostfriesen-Komiker Otto gestiftete Metallplastik plus 15.000 Mark.
Vom selben Produzenten wie „Brassed-Off“ stammte auch der in Emden gezeigte Film „Wilde Kreaturen“. Er wurde mit dem Komikerteam Monty Python gedreht und thematisierte ebenfalls die Folgen der Globalisierung – aus der Sicht der Werktätigen. Hier sind es die Tierpfleger eines privatisierten Zoos und ihre – allzu harmlosen – Lieblingstiere.
Fast zeitgleich mit dem Fall des Sozialismus als Staatsgrenze feierten sowohl die Metallgewerkschaften als auch der Film ihr hundertjähriges Bestehen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, daß just da die Gewerkschaften nur noch krisenhaft mit sich selbst beschäftigt sind und die Künstler postmodern sich gänzlich von sozialen Bewegungen abgewandt haben, die Arbeiterklasse gezwungen wird, erneut – wenigstens für den Erhalt ihrer Arbeitsbedingungen – zu kämpfen.
Berliner Medien: Jedes Maß verloren!
Die „Kommunikation“ – inzwischen zu einer eigenen „Branche“ geworden – hat sich vollends von der Produktions- in die Konsumptionssphäre verlagert – unter aktiver Beteiligung der Gewerkschaften. Andererseits schimpfte die DGB-Kreisvorsitzende im Anschluß an den 1. Mai 1997 in einem offenen Brief: „Die Berliner Medien haben jegliches Maß an objektiver Berichterstattung über die Verhältnisse der Stadt verloren. Dies wurde bei der Berichterstattung zum Tag der Arbeit mehr als deutlich“, an dem nur die „Action“ interessierte... „So gerät der 1.Mai in Berlin in Gefahr, zum Demonstrationstag der Polizei und ihres Innensenators zu degenerieren.“
Chancen individuellen Durchwurstelns
In dieser merkwürdigen Situation zeigten die Freunde der deutschen Kinemathek aus ihrem Berliner „Arsenal“ jüngst eine Reihe von Filmen über die „Arbeitswelt“. Beginnend mit dem 1925 gedrehten „Statschka“ (Streik), dem ersten – unvollendet gebliebenen – Film von Sergej Eisenstein: über die russische Arbeiterbewegung. Ferner den 1932 von Slatan Dudow gedrehten Spielfilm „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt“ mit Musik von Hanns Eisler, gesungen von Helene Weigel und Ernst Busch.
Bereits in dem 1947 entstandenen „Lehrstück“ des Neorealismus „La Terra Trema“, das vor allem den kollektiven Kampf sizilianischer Fischer gegen das Preisdiktat der Großhändler thematisiert, wird daneben der individuelle Versuch eines Fischers gezeigt, sich selbständig zu machen: Er scheitert – an denselben Machtverhältnissen. Anders als die Existenzgründungen, die 1996 in den finnischen Filmen „House of Full Service“ und „Wolken ziehen vorüber“ thematisiert wurden.
In letzterem, von Aki Kaurismäki in Cannes präsentiert, geht es um zwei Arbeitslose, die ein Restaurant mit dem sinnigen Namen „Zur Arbeit“ eröffnen. Wenn „die Wirtschaft“ vor allem mit der Psychologie operiert („Immer optimistisch bleiben!“), bleibt „der Arbeiterbewegung“ nur die Argumentation mit den ökonomischen Fakten („Und die sehen finster aus!“). Deswegen bangt man mit den beiden Protagonisten/Wirten: Werden sie es – trotz alledem – schaffen? Historisch am Beispiel der Kneipen in den deutschen Gewerkschaftshäusern betrachtet: ja – immer wenn sie an Arbeitslose verpachtet wurden, brummten die Läden, wenn sie jedoch wieder die stets auf Mäßigung bedachten Funktionäre „in eigener Regie“ übernahmen, erwirtschafteten sie „nur Miese“!
Die Berlinale-Erfolge des französischen Films über eine arbeitslos gewordene Fischfabrikarbeiterin – „Haben oder Nichthaben“ – und des amerikanischen Films „Roger and Me“ – über den Zerfall der Stadt Flint, nachdem dort die Autofabrik geschlossen wurde – ermutigten die Forum-Sektion, in diesem Jahr das Programm mit der dreistündigen aktuellen Wiederaufbereitung eines zwölfminütigen Streikfilms aus dem Pariser Mai 1968 zu beginnen: „Réprise“ – von Hervé le Roux, der jüngst auch von arte ausgestrahlt wurde.
Einige Kopien von „Roger and Me“ wurden 1995 von der IG Metall zu Schulungszwecken aufgekauft: Bei den Vorführungen bleibt stets ein Platz für den Chrysler-Präsidenten Roger Smith frei, der die Betriebsschließung in Flint verfügte. Von „Réprise“ erwarben die französischen Gewerkschaften sogar siebzig Kopien. Die darin von den damaligen Protagonisten heute noch einmal diskutierte Streikaktion richtete sich 1968 gegen die Arbeitsbedingungen in der Batteriefabrik „Wonder“, die 1985 nach mehreren „Entlassungswellen“ ebenfalls stillgelegt wurde – von Bernhard Tapie, einem ehemaligen „Manager des Jahres“.
Die Bauern nicht vergessen
Die Bauern nicht zu vergessen! In Emden gab es jetzt erstmalig einen „Workshop“: In ihm beschäftigte man sich mit den antiimperialistisch-anklagenden Dokumentarfilmen von Gordian Troeller. Dazu gehörte auch ein Film über das agrarindustrielle „Bauernlegen“ unter den US-amerikanischen Farmern. Im Jahr zuvor gab es darüber bereits eine Langzeitdokumentation von Sophie Kotany – aus optimistisch-unternehmerischer Sicht jedoch: „Lieber nach Osten als nach Kanada“. Zwei verheiratete Diplomlandwirte, „weichende Erben“ aus Schleswig-Holstein, pachten ein kirchliches Gut in Vorpommern und bauen sich als „Neueinrichter“ eine eigene Existenz auf. Der Film wurde zunächst mit einem Videobus auf Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns gezeigt.
Eine wunderschöne Treue zu seinen Protagonisten, die früher einmal sogar seine Arbeitskollegen gewesen waren, zeichnet auch den letzten Film von Alain Tanner aus: „L'Hommes du Port“. Es ist eine Hommage an die Genueser Hafenarbeiter und ihre schon seit über achtzig Jahren existierende syndikalistische Gewerkschaftsorganisation, die immer einflußreicher in der Stadt wird und über die sie demnächst sogar ihren Hafen selbst privatisieren.
Um Hafenarbeiter geht es auch im gerade von arte ausgestrahlten Film von Ken Loach: „Die Docker von Liverpool“. Dort wurde der Hafen vor anderthalb Jahren von einer Firma privatisiert, die sofort alle 2.500 Docker entließ.
Seitdem belagern sie den Hafen, wobei insbesondere ihre Frauen, die „Women of the Waterfront“, sehr aktiv sind: Bis jetzt bestritten sie 5.000 Veranstaltungen in fast allen Hafenstädten Europas. Ihre Liverpooler Gewerkschaft versagte dagegen kläglich. Wie so oft – mindestens seit 1933, als ironischerweise der 1. Mai zum offiziellen „Tag der nationalen Arbeit“ erklärt wurde und die Gewerkschaften sofort ihre Ziele aufgaben, um wenigstens ihre Organisation zu retten. „Wir Gewerkschafter sind (wieder einmal) weit über unseren Schatten gesprungen“, so sagte es der DGB-Vorsitzende Schulte grad neulich, nachdem er sich in einem „Beschäftigungspakt“ mit der Regierung über eine gewerkschaftliche Duldung des „Lohndumpings“ – zuförderst im Osten – verständigt hatte.
Ähnlich eng, mit einer fast tagesaktuellen Bewegung verknüpft wie die zwei Docker-Filme waren auch zwei auf der diesjährigen Berlinale von der IG Metall vorgeführte südkoreanische Streikfilme, die von der dortigen illegalen Gewerkschafts-Dachorganisation produziert worden waren: Als das Forum sie Anfang 1997 ins Programm nahm, waren sie noch nicht einmal gedreht, weil die Streikbewegung sich gerade erst auszudehnen begann. Der koreanische Geheimdienst war dann auch mehr als verblüfft über diese für ihn unerklärlich schnelle internationale Zusammenarbeit.
Noch schneller war nur der „Kurzschluß“ bei Jean Rouchs Film „Madame L'Eau“, in dem es um den Bau einiger holländischer Windmühlen am Niger ging, wo einige Bauern wegen eines veränderten Flußverlaufs dringend solche stromunabhängigen Anlagen zum Wasserhochpumpen benötigten. Jean Rouch stellte für sie einen Kontakt zum niederländischen Entwicklungshilfeministerium her und filmte dann alles, was sich daraus „entwickelte“. Als die erste Windmühle am Niger in Betrieb genommen wurde, war auch sein Film fertig – und umgekehrt. Bei einem solchen ebenso nützlichen wie dauerhaften Drehkosteneinsatz wird nicht nur der Unterschied zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, sondern auch der zwischen einer Inszenierung von oben und einer Initiierung von unten elegant suspendiert.
Zurück nach Emden: Dort versuchen wir nun den Hauptkulturträger der Stadt, die Volkshochschule, zum Aufbau eines Arbeiter-und-Bauern-Film-Archivs zu überreden, das ihr allein schon bei ihren Existenzgründerkursen gute Dienste leisten könnte.
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