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Pulverfaß am Schwarzen Meer

■ Russische Truppen überwachen seit 1994 den Waffenstillstand zwischen Abchasen und Georgiern. Heute endet das Mandat

Moskau (taz) – Heute endet das Mandat des russischen Friedenskontingents in Abchasien, an der Schwarzmeerküste des Staates Georgien. Dieses Fleckchen Erde war das „Kolchis“ der Antike. Hier suchte Jason das Goldene Vlies, fluchte Medea und hausten schon vor Christi Geburt viele Völker friedlich zusammen: außer Kaukasiern und Slawen auch Griechen, Juden und Armenier.

Als die Abchasen 1992 ihre Halbautonomie innerhalb einer georgischen Föderation forderten, kam es zu einer brutalen georgischen Militärinvasion. Der von beiden Seiten mit äußerster Grausamkeit geführte Krieg wütete bis September 1993. Er wurde von den Russen durch heimliche Waffenhilfe für die Abchasier und durch ein Flächenbombardement ihrer Hauptstadt Suchumi entschieden, das die Georgier von dort vertrieb.

Seither ist der vielstimmige Völkerchor verstummt. Griechenland und Israel evakuierten in spektakulären Marine-Aktionen ihre Volksangehörigen aus Abchasien. Die GeorgierInnen wurden vertrieben. Die auch früher nur eine halbe Million Einwohner zählende Kurort-Republik wurde entvölkert und von ihrer Geschichte abgeschnitten. Georgien wurde durch seine Niederlage gezwungen, sich der GUS anzuschließen.

Die umstrittene 1.500 Mann starke Friedenstruppe gehört nicht zu jenen Einheiten, mit deren Hilfe Moskau in dem regionalen Konflikt seine Interessen verfolgte. Sie wurde auf Beschluß der GUS entsandt und kooperierte in den ersten Jahren eng mit UN-Beobachtern. Ihre Kommandeure haben es geschafft, die Ruhe am Fluß Inguri zu bewahren und die Rückkehr von bisher über 40.000 georgischen Flüchtlingen nach Abchasien zu gewährleisten.

Da im Kaukasus die Tradition der Blutrache noch lebt, stellt eine solche Rückführung in allen Krisenherden der Region eine heikle Aufgabe dar, setzt sie doch die Bereitschaft von Betroffenen beider Seiten voraus, auch die unmittelbare Nachbarschaft von Mördern oder Folterern ihrer nächsten Angehörigen zu ertragen.

Nun fordert das georgische Parlament das russische Friedenskontingent ultimativ auf, Polizeifunktionen zu übernehmen oder aber abzuziehen. Der Hauptvorwurf an die Russen lautet, sie hätten sich zur Grenztruppe der Abchasier entwickelt. Unterhändler der kontrahierenden Seiten setzten sich Mitte des Monats bei der UNO mit einer Reihe westlicher Staaten zusammen, die der georgische Präsident Eduard Schewardnadse als „Freunde Georgiens“ bezeichnete. Schewardnadse fordert ein neues Forum zur Verhandlung über den Konflikt und den Einsatz anderer Friedensstifter. Wer sie stellt, scheint für ihn zweitrangig.

Präsident Schewardnadse steht unter großem innenpolitischem Druck. Das Straßenbild in Tbilissi ist geprägt von Flüchtlingen aus Abchasien, deren Integration in der selbst durch Bürgerkrieg verarmten georgischen Hauptstadt in keiner Weise begünstigt wird. Flüchtlingsverbände und revanchistische paramilitärische Einheiten fordern praktisch eine Revision des Friedensvertrags von 1993 und wollen Abchasien wieder unter ihre Gewalt bringen. Neues Blutvergießen am Inguri könnte die Macht des georgischen Präsidenten sogar stabilisieren.

Bei Schewardnadses USA-Besuch am letzten Wochenende überzeugte er Clinton mit dem Argument, das Mandat der Russen sei „erschöpft“, nicht. Der US-Präsident besteht auf einer wenigstens vorübergehenden Verlängerung der Anwesenheit der Truppe. Seine Argumente können in Tbilissi nicht einfach vom Tisch gewischt werden, denn mit rund einer halben Milliarde Dollar haben die USA Georgien seit seiner Unabhängigkeit unterstützt.

Die Gefahr, daß in den kaukasischen Subtropen ein neuer Konflikt heranreift, wird durch Clintons Machtwort kaum gemindert. Mitte Juli erklärte eine sogenannte „Weiße Legion“ von ehemals in Abchasien operierenden georgischen Freischärlern, sie werde „Maßnahmen“ gegen die russischen Friedensstifter ergreifen, „falls diese den abchasischen Separatisten helfen, eine neue Welle des Genozides gegen die Georgier in Abchasien zu entfachen“.

Leicht lassen sich Zwischenfälle inszenieren, die einen Anlaß für die Verwirklichung dieser Drohung bieten. Kürzlich verkündete der Pressesprecher des Kommandos der Friedenstruppe, Wladimir Muraschkin, das Kontingent habe den Befehl „von oben“ erhalten, seine Posten vom Fluß Inguri zurückzuziehen, und kontrolliere die Grenze nicht mehr. „Unserer Ansicht nach“, sagte Muraschkin, „bereiten sich beide Seiten wieder auf einen Krieg vor, die Georgier auf einen Angriff, die Abchasen auf Verteidigung. Die Abchasier überprüfen schon ihre Befestigungslinien.“ Barbara Kerneck

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