: Die internationale Provinz
„Ich bin ein Berliner“: Behaupten 29 internationale Künstler in einer ab morgen geöffneten Ausstellung in der St.-Matthäi-Kirche ■ Von Katrin Bettina Müller
Als der chinesische Maler Qikai Zhang nach Berlin kam, schockte ihn vor allem der Anblick von Bettlern, Obdachlosen und Alkoholikern. Und ihn erschreckten die Hunde, die er aus chinesischen und japanischen Straßen nicht kannte. Vielleicht malte er deshalb ein Rudel Jagdhunde, das durch eine gotische Kathedrale tobt: Beklemmend ist in seiner surrealen Verarbeitung des Fremden vor allem die akkurate Einfügung in den perspektivischen Raum.
Zhang gehört zu den 29 Künstlern, die von der Just Art Galerie und dem Förderband Kulturbüro zu der Kunstaktion „Ich bin ein Berliner!“ eingeladen wurden. Die einen kamen aus Kapstadt, Teheran, Virginia, Istanbul, Jamaika und Polen nach Berlin, die anderen aus Schlesien, Bayern, Westfalen und Potsdam. Was sie im Katalog über ihren Weg hierher erzählen, gibt keinen Anlaß zur Euphorie über den Metropolenstatus der Stadt. Dem Bolivianer Cadena erscheint Berlin als Großrechner, in dem die Menschen einen Krieg gegen die Zeit führen. Boris Ivandic aus Bosnien hat die Stadt nach dem Mauerfall als „phantastisches, totales arte povera Ambiente“ erlebt; doch diese aufregende Oberfläche ist jetzt schon wieder unter Beton verbaut. Vor allem die aus Deutschland stammenden Künstler geißeln die Selbstüberschätzung der Hauptstadt.
Doch aller kritischen Distanz zum Trotz: Das Projekt bleibt gut gemeint. Man ahnt es wohl: Vorgeführt werden soll der jetzt den Fremden gegenüber oft so häßlichen Stadt, daß sie durch die Zugewanderten überhaupt erst Weltstadt geworden ist. Allein, die Kunst zeugt eher von einer Verberlinerung. Die Ausstellung bleibt in der Selbstanzeige von Vielfalt und einem bunten Nebeneinander stecken.
Oft müssen die Titel den Berlin- Bezug herstellen: So spielt Andrei Woron, auf düsteren Symbolismus gebucht, auf die Vertreibung des Polenmarktes mit einem Bild an, das tiefe Gräben zwischen den hinter Bollwerken verschanzten Menschen aufklaffen läßt. Von Bedeutungswollen ist auch die israelische Künstlerin Varda Getzow erfüllt, die eine rosa Seidenfliege auf das Foto einer säugenden Muttersau gesetzt hat: Das ziele auf die heuchlerische Maske der Anständigkeit über der Brutalität der Deutschen, erläutert der Kurator Olaf Münzberg. Daneben hängen die Marktbilder von Hanefi Yeter, dessen Gemüse ganz unsymbolisch leuchtet.
Die Fotografin Vera Lichtenberg steuert als unverzichtbaren Baustein der heutigen Berlin- Identität Fotos vom Aufbrechen und Abriß der Mauer bei, und Ralf Sander hat eine Banane aus Holz gehauen. Wo Berlin draufsteht, ist eben auch Berlin drin. Nur reicht das Berlin-Bekenntnis als kleinster gemeinsamer Nenner, und sei es als ironischer Witz verpackt, kaum als Konzept. Verpaßt wird die Chance, das Thema Migration auf Reibung, produktive Verflechtung, Verflachung und Verdrängung von Kulturen zu untersuchen. Dabei kennen die meisten der Beteiligten den Konflikt von Integration und Ausgrenzung durchaus.
Zwei der Künstler, Robert Rutman und Efraim Habermann, sind 1932 und 1933 in Berlin geboren und mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten emigriert. Rutman, der eine Zeitlang mit großen Klangskulpturen unterwegs war, zeigt im Kirchenambiente zwei religiöse Motive, „Maria Himmelfahrt“ und „Jüngstes Gericht“, deren schmale Figuren anrührend naiv und verloren wirken. Die Stadtfotografien von Habermann folgen einer Topographie der Erinnerung und der Auslassung: „Wehmut packt mich in der Oranienburger Straße. Da bin ich mit meinem Vater in die Synagoge gegangen. Aber die Geschichte kommt mir immer wieder hoch, wenn ich den Reichstag oder das Brandenburger Tor sehe. Das fotografiere ich auch nicht.“ Doch das erfährt man nur im Katalog.
Eröffnet wird die Ausstellung mit dem Programm „Außen zuckrig innen klebrig“: ziemlich expressiver Tanz, esoterische Musik, deutsches Kabarett und prophetische Worte mit Orgelbegleitung von der Empore. Die Atmosphäre der Kirche verstärkt den Schauder der Laienspielschar. Am 20. August lesen polnische Autoren (19.30 Uhr), und ein Kunstmarkt „Allerlei Fragwürdiges“ beschließt die Aktion am 30. August.
Bis 31. August, Mi.–So. 12–18 Uhr, Eröffnung 2.8., 19.30 Uhr, Matthäikirchplatz
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