Bundesliga im Test: Hansas Traum von den elf Freunden
■ Rostocks neuer Trainer Ewald Lienen steht vor einer schweren Saison
Am Mittwoch eskalierte die Spannung vor dem Ligastart kurzzeitig. Beim Trainingsspielchen ließ Sergej Barbarez, dessen Aufstellung heute gegen Wolfsburg eher unsicher ist, Libero Marco Zallmann wissen, er solle „die Klappe“ halten. „Wie oft“, traf der im rhetorischen Gegenzug sensibel den Nerv des Stürmers, „hast du denn schon gespielt, du Arsch?“ Schleunigst griffen die perplexen Mitspieler und Ewald Lienen ein, bevor die zahlreichen Kiebitze erst recht auf ihre Kosten kommen konnten.
Später, beim Auslaufen, widmete sich der neue Trainer ausführlich seinem frustrierten Stürmer. Lienen ist in Rostock angetreten, „um Hansa langfristig zu einem festen Bestandteil der Bundesliga zu machen“. Kurzfristig steht er vor einer schwierigen Saison. Nach zwei Jahren auf Teneriffa in die Bundesliga zurückgekehrt, wagt er einen Neubeginn dort, wo der fast mit Kultstatus verehrte Vorgänger Frank Pagelsdorf riesige Fußstapfen hinterlassen hat. „Aber“, verkündet Hansas Lizenzspieler-Chef Herbert Maronn, „er soll ja hier nicht Frank Pagelsdorf kopieren, sondern als junger Trainer seine und unsere Spielauffassung von Offensivfußball umsetzen.“
Nach dem Abgang der Leistungsträger Beinlich, Akpoborie und Hofschneider muß Lienen eine neue Mannschaft formen, ohne Stars, aber mit Spielern, die er bis auf den wuchtigen Kroaten Igor Pamic nicht selbst aussuchen durfte. Weil plötzlich jeder wieder eine Einsatzchance wittert, ist der Konkurrenzkampf besonders ausgeprägt; unter 26 Kaderkickern können schließlich nur elf Freunde sein. „Ich brauche nicht elf, sondern alle Spieler“, fordert Lienen dennoch, gemeinschaftlich müsse man auftreten. „Wir wollen flüssigen Kombinationsfußball zeigen mit aggressivem Abwehrverhalten und bei Ballverlust versuchen, gemeinsam mit elf Mann den Ball zurückzugewinnen.“
Intern müht sich Lienen redlich, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Saison zu schaffen. „Der Umgangston“, hat der neue Kapitän Perry Bräutigam ausgemacht, „ist etwas anders als bei Frank Pagelsdorf. Da ging vieles stumm ab. Ewald Lienen versucht, die Pro
bleme aus den Spielern herauszukitzeln.“ Trotz aller kommunikativer Bemühungen sagt Lienen aber auch, daß wir hier „keine Diskussionsrunden abhalten“. In Duisburg, auf seiner ersten und letzten deutschen Cheftrainerstation, war Lienens Entlassung wegen Erfolglosigkeit vor drei Jahren ein Streit mit seinem Kapitän Rollmann vorausgegangen, der sich nicht genügend gehört fand. In Rostock lobt ihn der als Spielgestalter zurückgekehrte Jens Dowe als „ehrgeizigen, ehrlichen Menschen, der absolute Disziplin auf dem Platz fordert“.
Nach außen läßt Ewald Lienen, der einst sein Studium der Erziehungswissenschaften der Profifußballerkarriere opferte, sich in Rostock abschirmen. Anders als Vorgänger Pagelsdorf verweigert er den Journalisten die Herausgabe seiner Handynummer, alle Anfragen haben grundsätzlich über den Pressesprecher des Vereins zu laufen, dem er täglich Informationen, etwa über verletzte Kicker, zukommen läßt. In seinen Aussagen flüchtet sich der wegen fußballerischer wie politischer Position zu seiner aktiven Zeit als Linksaußen der Bundesliga berühmt gewordene Lienen vor der Preisgabe konkreter Details gerne in allgemein gehaltene Abhandlungen. „Sie werden mich nicht zu Prognosen und Äußerungen verleiten, die mir dann in Monaten vorgehalten werden“, teilte der Ex-Kicker von Arminia Bielefeld, Mönchengladbach und Duisburg am Donnerstag auf der Pressekonferenz mit. Der Ton den Medien gegenüber ist gezwungener als mit seinen Spielern. Den lokalen Radiosender ließ er mit der Bitte um einen Gruß an die Hörer verständnislos abblitzen.
Neben der Beschwörung des Gemeinschaftsgefühls ist der Psychologe Lienen gleich vor dem Auftaktkick gegen Wolfsburg gefordert, die Mannschaft von ihrer Erstligatauglichkeit zu überzeugen. Rostock wird überall als heißer Abstiegskandidat gehandelt, und mit den VW- Städtern rückt ausgerechnet der Perspektivgleichling zur Standortbestimmung an. „Aber“, beruhigt Lienen vor dem Ligastart, „man muß sich nicht verückt machen lassen: Es steht doch kein Vulkanausbruch bevor, sondern ein Fußballspiel.“ Jörg Winterfeldt
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