: „Der Agraranteil muß kleiner werden“
■ Heidemarie Wieczorek-Zeul, europapolitische Sprecherin der SPD, zu EU-Subventionen
taz: Jedes Jahr im Juli steht die Senkung der deutschen EU-Beiträge auf dem Programm. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Rudolf Seiters fordert nun, den jährlichen Nettobeitrag von 22 Milliarden Mark um mehr als zehn Milliarden zu reduzieren. Auch Finanzminister Theo Waigel und SPD-Chef Oskar Lafontaine wollen eine Reduzierung. Ernst zu nehmen?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Ja, denn es geht um die Zukunft der Osterweiterung und der Finanzierung der Europäischen Union.
Warum?
Wenn Deutschland seine Beiträge erheblich senkt, bedeutet dies letztlich, daß strukturschwache Mitglieder wie zum Beispiel Spanien von Nettoempfängern zu Nettozahlern würden. Wenn dann weitere schwächere Länder aus Mittel- und Osteuropa aufgenommen werden, wäre die Belastung noch größer. Das entspricht nicht dem Geist der EU, für einen regionalen Ausgleich zwischen den Mitgliedsländern zu sorgen und ist für die strukturschwachen Länder nicht akzeptabel. Waigels Haltung ist um so unverständlicher, weil ja auch die Regierung die Osterweiterung der EU anstrebt. Das zeigt nur, wie orientierungs- und konzeptionslos die Regierung ist.
Wie wichtig ist denn die Osterweiterung der EU?
Deutschland würde wohl am meisten davon profitieren. Die Erfahrung lehrt, daß die Industrieländer sofort einen Außenhandelsüberschuß erzielen, wenn die Grenzen zu einem wirtschaftlich schwächeren Land aufgehen. Im ersten Jahr des EU-Beitritts von Spanien haben die deutschen Exporte sofort um 26 Prozent zugenommen.
Die Bundesrepublik bringt zur Zeit 60 bis 70 Prozent aller Nettozahlungen an die EU auf. Ist es nicht gerechtfertigt, wenn diese Summe verringert wird?
Solche Nettozahlerrechnungen sind nicht sehr seriös, weil sich die Rückflüsse nicht einfach den Ländern zuordnen lassen. Die Einnahmeseite der EU sollte im Interesse der strukturschwachen Länder nicht verschlechtert werden.
Sinnvoller wäre es, das eigentliche Problem anzugehen, nämlich die Ausgabenseite der EU. Wir müssen vor allem die Subventionierung im Agrarbereich zurückführen, die 47 Prozent des Gesamthaushalts ausmachen. Wenn wir statt dessen den Landwirten Einkommensbeihilfen gewähren würden, und zwar nach ökologischen Gesichtspunkten, würde das je nach Stand der Liberalisierung für die EU eine Einsparung von 8 bis 28 Milliarden Mark bringen und für die Bundesrepublik von 2,3 bis 8 Milliarden.
Wieso kommt die EU auf diesem Gebiet nicht voran?
Finanzminister Waigel und Landwirtschaftsminister Borchert sperren sich dagegen, weil die Agrarsubventionierung vermeintlich im Interesse der Landwirte liegt. Ich behaupte dagegen, der Status quo dient lediglich den Lagerhaltern.
Eine Einsparung von 2,3 Milliarden Mark wäre nicht gerade viel. Deutschland wäre damit gegenüber anderen EU-Ländern immer noch stark benachteiligt.
Im Vergleich zu wirtschaftsstarken Ländern wie Dänemark, die sogar Nettoempfänger der EU sind, ist der deutsche Anteil sicherlich zu hoch. Ich schlage daher vor, daß Länder, die wegen ihres hohen Agraranteils überproportional vom Haushalt der EU profitieren, zu Ausgleichszahlungen verpflichtet werden, solange der Agraranteil des Haushaltes nicht drastisch reduziert worden ist.
Wieso sollten die betreffenden Länder Ausgleichszahlungen akzeptieren? Schließlich laufen die Verträge noch bis zum Jahr 2000.
Das ist jedenfalls realistischer als der Vorschlag von Seiters und Waigel. Dann stünde nämlich Deutschland allein gegen alle und es käme auch kein Kompromiß mehr zustande.
Um welchen Betrag sollte die Bundesrepublik entlastet werden?
Die Ausgleichszahlung wird kein zweistelliger Milliardenbetrag sein. Deutschland soll Nettozahler bleiben. Schließlich profitiert die Bundesrepublik extrem von der EU. Der Export in die EU-Länder ist ein enormes Konjunkturprogramm. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt davon ab. Interview: Markus Franz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen