■ Türkei: Offiziere wegen religiöser Aktivitäten gefeuert: Alles im Griff
Das Militär führt unangefochten Regie. Bereits wenige Wochen nachdem es die Regierung Mesut Yilmaz inthronisierte, ist der politische Einfluß der islamistischen Bewegung unter Führung des Ex-Ministerpräsidenten Erbakan zurückgedrängt worden. Politiker, die noch vor wenigen Monaten den Anschein erweckten, sie stünden kurz davor, ein islamistisches Transformationsprojekt zu realisieren, machen sich heute Sorgen um ihre Politkarriere. Wie von den Militärs gefordert, wird die Grundschulpflicht von fünf auf acht Jahre erhöht, und zahlreiche religiöse Schulen müssen geschlossen werden.
Die von einigen Beobachtern erwartete große Revolte, der Bürgerkrieg, die algerischen Verhältnisse, bleiben aus. Statt dessen müssen sich die Islamisten mit einigen kleinen, von der Staatsgewalt illegalisierten Demonstrationen im Griff der Polizei zufriedengeben. Benimmt sich die Wohlfahrtspartei unter Erbakan daneben, ist das Verbot der Partei vor dem Verfassungsrichter so gut wie sicher.
Kontinuität und Diskontinuität türkischer Politik. Die Kontinuität wird repräsentiert durch das türkische Militär, dem Sittenwächter über das repressive, doch republikanisch-säkulare Regime. Am Wochenende hat der Hohe Militärrat 73 Offiziere wegen angeblicher „religiös-reaktionärer Aktivitäten“ aus der Armee entlassen. Keiner protestiert dagegen, keiner debattiert darüber, ob die Entlassungen – nicht zufällig einer der wenigen Verwaltungsakte, die gerichtlich nicht angefochten werden können – gerechtfertigt waren. Auch Islamist Necmettin Erbakan mußte in seiner Amtszeit Entlassungen von Islamisten aus der Armee zustimmen.
Diskontinuität dagegen herrscht bei den politischen Parteien, bei Parlament und Regierung. Es ist schon wunderlich, daß ein und dasselbe Parlament zuerst dem Islamisten Erbakan, dann dem bürgerlichen Politiker Mesut Yilmaz, der der Refah-Partei den Kampf ansagt, das Vertrauen ausspricht. Vergeblich sucht man bei den Abgeordneten – sieht man von der Treue zum Militär ab – nach festen ideologischen Positionen. Die islamistische Refah-Partei war noch am erfolgreichsten darin, eine politische Linie zu entwerfen und durchzuhalten und sich damit in Teilen der Gesellschaft zu verankern. Doch auf absehbare Zeit wird sie nicht die Kraft entfalten, um dem antiislamistischen Restaurationsprojekt der Militärs Paroli zu bieten. Ömer Erzeren
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