: Exemplarische Dienstleisterin
■ Fotos von Liselotte Purper zwischen 1937 und 1944 im DHM
Wenn das richtige Leben einem Roman nachgezeichnet wird, kann das leicht schiefgehen. Und in gewisser Weise ist das auch im Fall von Liselotte Purper so passiert. Allerdings nur in gewisser Weise. Liselotte Purper war nämlich erst dreizehn oder vierzehn Jahre alt, als sie 1920 in der illustrierten Mädchenzeitung Das Kränzchen den Fortsetzungsroman „Hertas Beruf“ las und wie dessen Protagonistin beschloß, die Fotografie zu ihrem Beruf zu machen. Damit fiel ihre Verwirklichung der Weimarer Idee von der Neuen Frau, die als Fotojournalistin in einem der neuen Traumberufe des aufkommenden Informationszeitalters arbeitete, in die Zeit des Dritten Reichs.
Und damit lief, im nachhinein betrachtet, ihre Karriere schief. Zumal sie selbst mit der Rolle einer Propagandistin nationalsozialistischer Ideologie ganz offensichtlich keine Probleme hatte. Und das, obwohl die Tante, die ihr die Ausbildung an der Photographischen Lehranstalt des Lette- Vereins finanzierte, Halbjüdin war. Margarethe Klingler, Tochter des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Arthur von Gwinner, stärkte der siebzehnjährigen Liselotte Purper den Rücken gegen den Vater, der eine Berufsausbildung für seine Tochter als überflüssig erachtete. Es scheint ausgerechnet der aus der Weimarer Republik und der bürgerlichen Frauenbewegung herübergerettete, hartnäckige Wunsch nach Emanzipation und einem selbstbestimmten Leben gewesen zu sein, der eine ganze Reihe von Frauen während des Dritten Reichs zu engagierten Interessenvertreterinnen des Systems machte. Zumindest aber zu keineswegs unschuldig Verstrickten. Liselotte Purper selbst hat mit ihrem über lange Jahre verfolgten Lieblingsprojekt einer Reportage über deutsche Wissenschaftlerinnen eine eindrucksvolle Porträtserie solcher Frauen erstellt.
Wer wie die Medizinerin Dr. Agnes Bluhm am Berliner Kaiser- Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin tätig war und sich während der NS-Zeit mit „Rassen- und Sozialhygiene“ befaßte, der hat sich die Hände schmutzig gemacht, ganz ohne Frage. Wer wie Liselotte Purper im Auftrag des Reichsarbeitsdienstes durch die deutschen Gaue samt dem neugeschaffenen „Reichsgau Wartheland“ reiste oder im Auftrag der Reichsfrauenführung in Rumänien die Aktion „Heim ins Reich“ ins rechte Licht setzte, also die Aussiedlung der sogenannten Volksdeutschen, bevor sich die Sowjetunion im Einvernehmen mit dem Deutschen Reich das Land unter den Nagel riß, der war kein Opfer der Verhältnisse, der sah sie eher besser als viele andere.
Weil er sie besser sah, wie etwa Purpers Aufnahmen aus dem Ghetto in Strykow belegen, möchte man natürlich meinen, hätte er sie besser verstehen müssen. Der hätte erkennen müssen, daß er mit seiner Arbeit Einverständnis mit einem kriminellen Regime signalisiert und damit potentiell zum Täter wurde. Doch solche Einsicht war bei Liselotte Purper nicht gegeben. Es ist noch nicht einmal ausgemacht, ob es nur die wunderbare Karriere war, die jedwede Bedenken in den Hintergrund drängte. Eher scheint es, daß es solche Bedenken gar nicht gab. Denn auch heute darf man von der jugendlich wirkenden, tatsächlich aber etwa 90jährigen Dame keine großartigen Bekenntnisse eines politischen und moralischen Versagens erwarten.
Diese Haltung führte freilich dazu, daß Liselotte Purper ihr NS- Werk nicht verleugnete und im Keller verrotten ließ. Sie führte weiter dazu, daß nun in der – auf 400 Quadratmeter erweiterten – Ausstellungsfläche der Fotogalerie des Deutschen Historischen Museum eine tatsächlich sehenswerte Schau von rund 160 Fotografien betrachtet werden kann. Um als Bildberichterstatterin erfolgreich arbeiten zu können, durfte Liselotte Purper nicht mit den Männern um „harte Fakten“ und „Aktualität“ konkurrieren, sie mußte vielmehr eine frauenspezifische Nische finden, die ihr die NS- Frauenorganisationen und der ihnen angeschlossene Medienapparat boten. Mit ihren Arbeiten für die Frauenkultur, die Monatszeitschrift des Deutschen Frauenwerks, oder für die vierzehntägige NS-Frauenwarte der NS-Frauenschaft lieferte die junge Fotojournalistin keine Bilder des nationalsozialistischen Alltagslebens. Ob sie Arbeitsmaiden in Elsaß-Lothringen, Rüstungsarbeiterinnen in Berlin oder Schülerinnen einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt, also einer Eliteschule für Mädchen in Luxemburg, aufnahm, ihre Fotos waren keine Schnappschüsse, sondern wohlüberlegte Inszenierungen. Stilisierungen, Ikonen, wie man heute sagen würde, „bigger than life“, wenn die Arbeitsmaid im Vordergrund immer etwas blonder ist und die jungverheiratete Bäuerin in Rumänien etwas gotischere Gesichtszüge hat als der Rest. Nur unbeabsichtigt steckt auch Aufklärung in den technisch exzellenten Bildern, etwa wenn in den sehr unterschiedlich eingerichteten Lagern der baltendeutschen und der wolhyniendeutschen Aussiedler im Warthegau die Klassengesellschaft des Nationalsozialismus zum Vorschein kommt.
Die Propaganda, besonders im Hinblick auf den Reichsarbeitsdienst und Dienstverpflichtungen in der Rüstungsindustrie, wollte der Notwendigkeit von Repressalien gegen die eigene Bevölkerung zuvorkommen, denn der organisatorischen Erfassung auch der Frau im NS-Staat, die eine Entmachtung der alten patriarchalen Autoritäten wie Vater, Pfarrer und Lehrer bedeutete, wurde in weiten Teilen der Bevölkerung ablehnend begegnet. Gegen „die schaffende Frau“, die Liselotte Purper faszinierte, stand das alte traditionelle Frauenbild der Deutschen, das die Nazis selbst lange genug gehegt und gepflegt hatten. Dagegen entwarfen die Redakteurinnen und Funktionärinnen des NS-Staats mit Hilfe von Fotografinnen wie Liselotte Purper ihr ideales Frauenbild: „Stets heiter, aber nicht oberflächlich; strahlend natürlich; geschmackvoll, aber nicht frivol gekleidet; Frauen, die perfekt organisieren und praktisch alles können, wenn es die Situation fordert, und trotzdem nichts von ihrer Weiblichkeit verlieren“, wie die Projektleiterin der Ausstellung, Katja Protte, in ihrer informativen, fotohistorisch differenzierten Aufarbeitung des ausgestellten Materials schreibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloß sich an dieses Bild das der „unermüdlich zupackenden Trümmerfrau“ nahtlos an. Protte hat das Konvolut der rund 160 Bilder in übersichtliche vierzehn Kapitel geordnet, in denen Liselotte Purper keineswegs als große Fotografin entdeckt, sondern vielmehr als exemplarische Dienstleisterin analysiert wird. Liselotte Purper selbst sieht sich vage als eine Leni Riefenstahl der Fotografie. In den Zeiten des Dritten Reichs, die der beruflichen Karriere von Frauen nicht sonderlich förderlich waren, hatte sie eine Firma aufgebaut, die zeitweise vier weibliche Angestellte hatte; sie war in einer Ausstellung 1941 zusammen mit der völkischen Starfotografin Erna Lendvai-Dircksen und der Theaterfotografin Rosemarie Clausen als prominente Bildberichterstatterin präsentiert worden; sie hatte in dieser Zeit mit 3.000 bis 4.000 Mark im Monat extrem gut verdient und sich 1943 schließlich verheiratet, um den Roman um „Hertas Beruf“ zu vollenden. Doch starb ihr Mann Kurt Orgel 1945 noch an den Folgen einer Kriegsverletzung. Das Dritte Reich fiel in Schutt und Asche, und sie selbst mußte sich zunächst bedeckt halten. Schon 1946 begann sie allerdings mit Hilfe alter Kontakte zur ehemaligen Presse- und Propagandaabteilung der Reichsfrauenführung wieder für ost- wie westzonale Publikationen zu arbeiten. Nun waren es die „Frauen in Berliner Museen“, die ihr Fortkommen sicherten. Brigitte Werneburg
Bis 14. 9. im Deutschen Historischen Museum Berlin. Magazinheft zur Ausstellung: 12 DM
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