piwik no script img

Schwere Brummer in der Falle

Eine High-Tech-Waage in der Autobahn enttarnt überladene Lastwagen. Jeder fünfte Lkw hat zuviel Gewicht und ruiniert die Straßen  ■ Von Manfred Kriener

Es ist keine Hexerei. Es ist nur zeitgemäße Technik. Auf der oberbayerischen Autobahn A99 bei Grasbrunn nähert sich ein Sattelschlepper dem Punkt X. Ohne daß es der Lenker bemerkt, fährt er mit voller Geschwindigkeit über zwei High-Tech-Bretter, die im Asphalt versenkt sind. Sekundenbruchteile später wird der Brummer zum Filmstar. Von einer 15 Meter vom Tatort entfernt aufgestellten Videokamera wird er in Echtzeit erfaßt und, so der Polizeisprecher, „bombig scharf“ gefilmt. Die Kamera wurde durch den Rechner ausgelöst, der neben den „Brettern“ am Rand der Autobahn installiert ist. Während der Schwerlaster gefilmt wird, zeigt die Fuß- und Kopfleiste des Videos die Geschwindigkeit des Fahrzeugs an und eine Überschreitung des erlaubten Gewichts um 30 Prozent: Die Hauptachse der Zugmaschine ist um fünf Tonnen überladen.

Zwei Kilometer weiter ist die Dienstfahrt zu Ende. Am sogenannten Ausschleusepunkt wird der Sattelschlepper von Polizeibeamten auf den Parkplatz gewunken. Die Beamten sind mit Rechner und Kamera verbunden. Sie haben auf ihrem Bildschirm ebenfalls das stark überladene Fahrzeug gesehen und schon mal ein Beweisfoto ausgedruckt. Dann wird der Lkw nachgewogen, um gerichtsverwertbare Fakten zu schaffen. Die Langsamwaage bestätigt das Resultat der elektronischen Schnellmessung. Die Polizei verordnet ein Bußgeld von 450 Mark – die Höchststrafe für Ordnungswidrigkeiten. Der Fahrer steigt aus, sein Lkw bleibt stehen, bis Teile der Fracht auf einen zweiten Laster umgeladen sind.

Der Fall wurde am 16. Juli aktenkundig. Es war der erste Tag, an dem das Polizeipräsidium Oberbayern die europaweit einmalige vollautomatische Lkw-Wiegestation an der Münchner Ostumgehung in Betrieb nahm. Wiegen im Zehntelsekunden-Takt bei rasender Fahrt: Die intelligente Waage erkennt am Achsabstand den Lkw-Typ, gleicht die Vorschriften des Fahrzeugtyps mit dem gemessenen Gewicht ab und meldet in Prozentangaben Überschreitungen von Achs- oder Gesamtlast.

Mit der rund 500.000 Mark teuren Elektronik will Bayern die „rollenden Zeitbomben entschärfen“, so der Staatssekretär im Innenministerium, Hermann Regensburger (CSU). Was da täglich über die Autobahnen rollt, sind Ungetüme mit oft kriminell überschrittenem Ladegewicht. Im vergangenen Jahr, noch vor Einführung der versteckten Elektrowaage, ermittelte die oberbayerische Polizei bei ihren Kontrollen genau 227.637 überladene Lkws. Jeder fünfte Brummer, so die ersten Erfahrungen mit der neuen Waage, hat zuviel Gewicht auf der Rampe. Im Konkurrenzkampf der Spediteure bleiben die Vorschriften auf der Strecke. Drei überladene Lkws ersparen einen vierten.

Die Folgen sind gefährlich und teuer: Der Bremsweg der Fahrzeuge verlängert sich dramatisch. Die Straßen werden ruiniert. Nach Berechnungen der bayerischen Innenbehörde schädigt eine doppelte Beladung der Achse eine Straße 18mal mehr als bei einem normal beladenen Lkw. Vor allem wegen der rasant wachsenden Lkw-Kolonne nimmt nicht nur der Verkehrsfluß, sondern auch die Lebensdauer von Straßen und Brücken ab. Seit 1975 hat sich in Oberbayern der Lkw-Verkehr mit einer Zunahme um 130 Prozent mehr als verdoppelt. Nach Beobachtungen von Helmut Holzapfel, Abteilungsleiter im Verkehrsministerium Sachsen-Anhalt, muß auf manchen vielbefahrenen Streckenabschnitten inzwischen schon nach fünf bis sieben Jahren die Fahrbahn erneuert werden.

Von der neuen Elektrowaage verspricht sich das bayerische Innenministerium auf der stark befahrenen Nord-Süd-Route eine präventive Wirkung, sobald sich die Innovation in der Branche herumspricht. Vorsorglich wurde die Meßstation so angelegt, daß es für die Lkws fast unmöglich wird, sie zu umfahren. „Das ist sehr aufwendig und mit erheblichen Zeitverlusten verbunden“, sagt Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer.

Die Neuerung bringt indes unerwartete Probleme: In den ersten Betriebstagen war der Andrang der Sünder so gewaltig, daß die Polizei viele gefilmte Laster unbestraft ziehen lassen mußte. Wie ein Nadelöhr war der für den Ansturm viel zu kleine Parkplatz, auf dem die überladenen Lkws nachgewogen werden. Außerdem hat es sich die oberbayerische Polizei zum Prinzip gemacht, die erwischten Brummer „ganzheitlich zu kontrollieren“, also auch den technischen Zustand des Fahrzeugs, Fahrtenschreiber und Frachtpapiere durchzusehen. Das alles braucht Zeit, in der sich die Sünderschlange langsam Richtung Autobahn zurückstaut. Das Nachwiegen ist unverzichtbar, weil die Schnellwaage von den Gerichten noch nicht anerkannt wird. Die von den Beamten ermittelte Differenz zwischen den beiden Wiegesystemen beträgt allerdings „maximal fünf Prozent“, so Kammerer.

Der schwächste Teil der bayerischen Innovation steht am Schluß: die Strafe. Hier sind den Beamten enge Grenzen gesetzt. Ein Lkw, der um volle 20 Prozent, also um ein Fünftel überladen ist, kostet gerade mal 200 Mark Bußgeld. Um über das Strafmaß der Ordnungswidrigkeit hinauszugehen, müßte die Polizei eine vorsätzliche Überladung der Brummer beweisen. „Das können wir nicht“, bedauert Polizeisprecher Kammerer, denn „manchmal sind die Lkws tatsächlich nur aus Versehen falsch beladen“. Und noch etwas dürfte die Brummer-Zunft beruhigen: Wegen Personalmangels der Polizei kann die neue dynamische Waage der badischen Firmen Pietzsch PAT und IBP nicht durchgängig in Betrieb gehalten werden.

Anderen Bundesländern kann die Lkw-Falle dennoch wärmstens empfohlen werden. Angesichts der großen Zahl von überladenen Schwergewichten amortisiert sich die Innovation in kürzester Zeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen