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„Die Spanier sind für die Zukunft geimpft“

■ Jorge Fernández, stellvertretender Chefredakteur der unabhängigen Zeitung „El Mundo“, über die Kontrolle der Regierung und die Bekämpfung von Korruption in Spanien

Jorge Fernández (51) gehört zu den alten Hasen des demokratischen Journalismus in Spanien. Gleich zwei Tageszeitungen hob er mit aus der Taufe. 1976, im Jahr nach dem Tod von Diktator Franco, war er Mitgründer des der sozialistischen PSOE nahestehenden „Diario 16“. Sechs Jahre später kam die Partei von Felipe González an die Regierung. Kritisches Hinterfragen gehörte für Fernández auch weiterhin zur journalistischen Pflicht. Doch „Diario 16“ war dafür schnell zu eng. Ein Teil der Redaktion um den jungen Journalisten Pedro J. Ramirez gründete deshalb 1989 „El Mundo“ und verschrieb sich der schonungslosen Kontrolle der Regierung und Bekämpfung der Korruption.

taz: Acht Jahre „El Mundo“ sind acht Jahre Niedergang der spanischen Sozialisten.

Fernández: „El Mundo“ hat zweifelsohne zum Ende der Regierung González beigetragen.

Viele behaupten, „El Mundo“ sei nur aus persönlicher Rache all jener gegründet worden, die in „Diario 16“ wegen des dortigen Einflusses der PSOE nicht so arbeiten konnten, wie sie gern gewollt hätten.

Was zählt, ist unsere Arbeit. Wir begannen, als Felipe González bereits sieben Jahre mit absoluter Mehrheit regierte. Der erste Korruptionsfall geriet genau ein Jahr nach unserer Entstehung an die Öffentlichkeit. Es ging dabei um Juan Guerra, Bruder des stellvertretenden Regierungspräsidenten, und Nummer zwei der PSOE, Alfonso Guerra. Er hatte in der Provinzdelegation der Regierung in Sevilla ein Büro eingerichtet, von dem aus er große und kleine Gefälligkeitsdienste leistete – bei der Suche eines Arbeitsplatzes, bei der Beschleunigung von Anträgen an die Behörden etc. Das alles gegen gute Bezahlung, versteht sich. Das war der erste Fall, an dem wir nachweisen konnten, daß die Verwaltung unter Felipe González angefangen hatte, korrupt zu sein. Danach deckten wir zwei weitere Skandale auf, die, so denke ich, ohne Beispiel in den westlichen Demokratien sind: erstens der schmutzige Krieg der „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“ (GAL), die im Auftrag des Innenministeriums 28 Menschen — teils mutmaßliche ETA-Mitglieder, teils völlig unbeteiligte Zivilisten — ermordeten; und zweitens die illegale Finanzierung der PSOE mit Hilfe eines eigens gegründeten Unternehmens, „Filesa“. Leute, die an solch schlimmen Straftaten beteiligt sind, sollten ein demokratisches Land nicht regieren.

Zwar haben die Sozialisten die letzten Wahlen verloren, aber strafrechtlich gesehen haben die Veröffentlichungen nicht viel ergeben. Juan Guerra ging so gut wie straffrei aus, im Falle „Filesa“ wurden nach und nach die Ermittlungen gegen immer mehr Verdächtige eingestellt, und der Fall GAL könnte ebenfalls eine solche Wende nehmen.

Das ist leider wahr. Guerra muß sich nur noch wegen Steuerhinterziehung verantworten. Wegen illegaler Nutzung eines öffentlichen Büros konnte er mangels eines entsprechenden Paragraphen im Strafgesetz nicht verurteilt werden. Das klingt wie ein schlechter Witz und ist von den Bürgern nicht nachzuvollziehen. Bei „Filesa“ verschleppten die Richter die Ermittlungen so lange, bis viele der Tatbestände verjährt waren. Und das Schlimmste: Gegen die Bankiers und Unternehmer, die an „Filesa“ und deren Tochterunternehmen Millionenbeträge für nie erstellte Studien überwiesen haben, um so an Regierungsaufträge heranzukommen, wird in den meisten Fällen erst gar nicht ermittelt; es sei nicht mehr auszumachen, wer die innerbetriebliche Anweisung zur Schmiergeldzahlung gab. Und bei den GAL wurde Felipe González von den Ermittlungen ausgenommen, obwohl klar ist, daß seine Innenminister und andere hohe Beamte der Staatssicherheit beteiligt waren.

Dann war also alles umsonst?

Selbstverständlich nicht. Die Gesellschaft hat nach und nach begriffen, wie pervers ein System ist, das auf Korruption basiert. Spanien ist eine junge Demokratie im Vergleich zu den Nachbarländern. Seit 1976 improvisieren wir vor uns hin. Aber mit jedem Jahr reift die Demokratie. Deshalb war die Auseinandersetzung mit der Korruption sehr wichtig. Denn zu diesem Phänomen kann sich eine Gesellschaft auf zwei Arten verhalten. So wie in Mexiko, wo bis hinunter zum Verkehrspolizisten alle die Hand aufhalten und wo die Korruption längst keine Nachricht mehr ist. Oder wie hier und in Italien, wo zwar weite Teile des Machtapparats korrupt waren, sich die Bevölkerung über entsprechende Veröffentlichungen aber immer noch empört. Ich glaube, die Spanier sind für die Zukunft geimpft. Ein Politiker wird es sich künftig sehr genau überlegen, ob er sich bestechen läßt oder nicht. Interview: Reiner Wandler

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