■ Das Silikon-Urteil ist kein Sieg der Frauenbewegung: Ein Schutz vor der eigenen Dummheit
Wir wissen, daß Schönheit relativ ist. Wir wissen auch, daß es relativ schwierig ist, Frauen dies begreiflich zu machen. Und wir wissen, daß Männer relativ geschickt sind, diesen Umstand finanziell und politisch auszunutzen. Doch trotz dieser Bloßlegung patriachaler Strukturen wissen wir bis heute nicht: Von wie vielen guten Geistern muß eine Frau verlassen sein, bevor sie sich ein Stück transparenten chemischen Wackelpudding in den Busen einnähen läßt? Und dann auch noch glaubt, das sei gesund...
Ein Sieg für die Frauenbewegung ist das nicht, was die silikongeschädigten Klägerinnen in New Orleans gegen Dow Chemical und in den Jahren zuvor schon gegen andere Hersteller von Brustimplantaten erzielt haben. Eher schon ein Erfolg für eine Verbraucherschutzkampagne in einer Gesellschaft, in der die Diktatur des genormten Körpers so stark ist wie nirgendwo sonst.
In keiner anderen Ecke der Welt wird so missionarisch gegen Zellulitis, Glatzen, behaarte Beine, schiefe Zähne, schlappen Bizeps oder hängende Backen aller Art zu Felde gezogen. Über 200.000 Pfund Körperfett saugen Schönheitschirurgen jedes Jahr aus weiblichen – und zunehmend auch männlichen – Problemzonen ab, während sie mit Silikonsäckchen anderswo ein bißchen was zulegen. Jährlich lassen sich Abertausende die Mundwinkel an die Ohrläppchen nähen, was man Facelifting nennt, oder das Gebiß neu meißeln, um bei der smile evaluation durch potentielle Intim- oder GeschäftspartnerInnen gut abzuschneiden. Penisverlängerung gehört zum Neuesten in der Angebotspalette der Schönheitschirurgen. Auch das, sagt uns der gesunde Menschenverstand, kann im wörtlichen wie übertragenen Sinne nur schiefgehen. Wir sind gespannt auf die zu erwartende Welle von Gerichtsklagen.
Nun könnte mensch sich auf den Standpunkt stellen: Wer seinen Körper als Narzißmus-Karosserie begreift, darf sich über auftretende Materialmängel nicht beklagen. Doch sollen die Frauen in New Orleans und anderswo die Silikonproduzenten ruhig um ein paar Millionen schröpfen. Der Mensch ist ja – wie wir nach wie vor hoffen – lernfähig. Und es besteht die Möglichkeit, daß die Betreffenden das Geld dieses Mal etwas sinnvoller anlegen als im Aufbau von Silikonbrüsten. Zum Beispiel ins Training der eigenen Gehirnzellen und des eigenen Selbstbewußtseins, was am Ende zur Verinnerlichung dieses einfachen Satzes führen könnte: „Wer schön ist, bestimme ich.“ Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen